Positionspapier des VdPP zur Weiterentwicklung der ortsnahen Arzneimittelversorgung über Vor-Ort Apotheken und eine verbesserte Einbindung pharmazeutischer Kompetenzen in eine zukünftige interdisziplinär ausgerichtete und patient:innennorientierte Primärversorgung
Abnahme der Anzahl an Apotheken
Das Apothekenwesen in der Bundesrepublik steckt in einer Krise. In den Jahren 1999 bis 2022 sank die Zahl von 21.590 Apotheken auf 18.068 und Anfang 2024 auf unter 17.500 Apotheken. Der Trend zeigt weiterhin nach unten. Wachsender Fachkräftemangel, geringe Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten, die Unattraktivität der Arbeit in Apotheken und der Rückgang der Zahl der Ärzt:innen in für sie unattraktiven Quartieren der Städte und im ländlichen Raum werden als Hauptgründe genannt.
So deprimierend die Situation für das Apothekenwesen und vor allem für die von der Schließung der Apotheken Betroffenen ist (Apothekenleiter:innen und Mitarbeitende sowie Patient:innen), stellt sich aus Public Health-Perspektive und aus Sicht der Patient:innen die Frage: Ist der Rückgang der Zahl der Apotheken für die Qualität der Arzneimittelversorgung kritisch und damit für die Gesundheit der Bevölkerung von Relevanz? Wie viele Apotheken braucht das Land?
Aus Sicht des VdPP ist zunächst jede Apotheke von Bedeutung, die für die Patient:innen einen wesentlichen Teil der ortsnahen Gesundheitsversorgung sicherstellt und zudem wichtige Aufgaben für das Gemeinwohl und den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft übernimmt; Apothekenschließungen erfordern für die Patient:innen meist weitere Wege und Kraft für den Aufbau einer Vertrauensbeziehung zur neu gewählten „Stammapotheke“.
Derzeit (2024) versorgen in der Bundesrepublik durchschnittlich 21 Apotheken 100.000 Einwohner. Im EU-Durchschnitt sind es 32 Apotheken, wobei die Spanne von 97 Apotheken (Griechenland) bis zu 9
Apotheken (Dänemark) reicht (Stand 2020). Zwar ist jedes Arzneimittelversorgungssystem in den EU-Ländern anders und der Vergleich der nackten Zahlen hinkt; dennoch bleibt die Frage, ob sich durch den
Rückgang der Zahl der Apotheken bei uns die Versorgung aus Public Health-Perspektive bereits besorgniserregend verschlechtert hat. Oder handelt es sich eher um eine Marktbereinigung, ohne
gesundheitliche Auswirkungen, wie es Ökonomen oftmals sehen und wie sie in vielen anderen Wirtschaftssparten beobachtet wird?
Von Seiten der ABDA und ihrer Mitgliedsorganisationen ist der Grund für die Apothekenschließungen in erster Linie die ungenügende Honorierung der Leistungen der Apotheken. Dies führe dazu, dass sich die nachwachsende Generation nur noch selten für die Übernahme einer Apotheke entscheide und das Personal von Apotheken aufgrund vergleichsweise niedriger Gehälter in Apotheken nach anderen Beschäftigungsmöglichkeiten, wie z. B. in der Industrie oder bei den Krankenkassen, suche.
In der Tat warten die Apotheken seit 2013 auf eine Anpassung des Zuschlags auf die Abgabe von verordneten Arzneimitteln. Der Zuschlag beträgt immer noch 8,35 Euro pro Packung (2004: 8.10 Euro) – inflationsbereinigt müsste er aber bei über 11 Euro liegen. Außerdem erhalten Apotheken einen Aufschlag von 3% auf den Einkaufspreis der jeweils abgegebenen Packung. Die Apotheken finanzieren die Arzneimittel vor und bekommen erst bis zu 6 Wochen später das Geld. Die Versorgung von Patient:innen, denen hochpreisige Arzneimittel verordnet werden (Arzneimittel mit einem Apothekeneinkaufpreis von mehr als 1238,50 Euro), ist für Apotheken aufgrund der schwierigen Vorfinanzierung wirtschaftlich höchst risikoreich. Aus diesem Grund muss in Zukunft dafür gesorgt werden, dass die Versorgung von Patient:innen mit Hochpreisern ohne die heutigen wirtschaftlichen Risiken möglich wird.
Den Gesetzlichen Krankenkassen muss auf den Zuschlag von 8,35 Euro durch die Apotheken ein Rabatt gewährt werden. Dieser Rabatt wurde für 2 Jahre von 1,77 auf 2 Euro erhöht, um die Krankenkassen finanziell zu stärken. Auch an der Rabattpflicht hat sich über die Jahre nichts geändert.
Die Pharmazeutische Industrie hat über Preisanhebungen bzw. hohe Preisansetzungen bei neuen Arzneimitteln („Hochpreisern“) indirekt bei den Apotheken für mehr Umsatz gesorgt. Mehr Umsatz ist aber keinesfalls gleichbedeutend mit mehr Gewinn. Die Bedingungen, unter denen Apotheken betrieben werden, wirken sich unterschiedlich auf die Gewinne aus.
Gleichzeitig sind die Ausgaben für den Betrieb von Apotheken und für ihr qualifiziertes Personal drastisch gestiegen (z. B. bei Sachkosten, Mieten, Gehältern).
Weiterhin wird die Arbeit in Apotheken durch umfangreichere rechtliche Vorgaben und u. a. Lieferengpässe belastender. Durch die Versandapotheken verloren die Präsenzapotheken im Bereich der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel einen nennenswerten Anteil am Umsatz (etwa 15 bis 20% in diesem Segment). Im verschreibungspflichtigen Segment stagniert der Anteil durch Versandapotheken bei etwa 1%, was sich aber durch die Einführung des elektronischen Rezeptes zugunsten der Versandapotheken verändern könnte.
Begrüßenswerte Entwicklungen ermöglichen den Apotheken, neue Aufgaben zu übernehmen und sich damit zusätzliche Einkommensquellen zu erschließen: Seit der Corona-Pandemie können Botendienste zu Lasten der GKV abgerechnet werden, Impfungen sind in Apotheken möglich geworden und werden von der GKV bezahlt, pharmazeutische Dienstleistungen, wie das Blutdruckmessen oder die erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation, werden von der GKV honoriert.
Bedingt durch die außerordentlich knappe Personalsituation in den Apotheken wird jedoch diese Zusatzarbeit kaum bewältigt und die Gelder für die Pharmazeutischen Dienstleistungen aus dem dafür vorgesehenen Budget kaum abgerufen. Auch wurde die Gebühr für die Dokumentation von Betäubungsmittelrezepten in den letzten Jahren erhöht, was allerdings nur für wenige spezialisierte Apotheken von Relevanz ist.
Besonders ländliche Apotheken, die häufiger als städtische Apotheken zur Dienstbereitschaft (Notdienst) verpflichtet werden, profitieren zudem von den Geldern des sog. Notdienstfonds, der ebenfalls von der GKV gefüllt und pro Notdienst an Apotheken ausgezahlt wird (derzeit 437,76 pro Vollnotdienst).*
Dennoch zeigt die sinkende Anzahl der Apotheken, dass viele Apotheken existentiell bedroht sind. Der Trend hat sich in den letzten Jahren beschleunigt, und eine Umkehr ist nicht abzusehen.
In dieser Situation haben die Apothekerverbände ihren Protest auf die Straße getragen und mit einer beachtlichen Anzahl von Teilnehmenden an Demonstrationen im Jahr 2023 gezeigt, dass es für sie so nicht weitergehen kann.
Geplante Apothekenreform des Bundesgesundheitsministeriums (BMG)
Das BMG plant mit einer Apothekenreform eine Umverteilung der vorhandenen Mittel von umsatzstarken auf umsatzschwächere Apotheken. Außerdem soll die Gründung von Zweigapotheken, die durch geringere sachliche und personelle Anforderungen im Vergleich zu Voll-Apotheken gekennzeichnet sind, erleichtert werden. Das BMG sieht in seinem Referentenentwurf für ein Apothekenreform-Gesetz darin eine Möglichkeit, vor allem in ländlichen Regionen die Arzneimittelversorgung über Präsenz-Apotheken zu erleichtern. Ein entsprechender Gesetzentwurf wird erwartet.
Die Vertreter:innen der Apothekerschaft wurde zu keiner Zeit bei der Ausgestaltung der Apothekenreform einbezogen. Die Vorschläge sind daher praxisfremd, und die Probleme werden nicht gelöst. Ein unproduktiver Konkurrenzkampf der Apotheker:innen untereinander wäre bei der Umsetzung der aufgezeigten Pläne vorprogrammiert.
Der VdPP kritisiert diese Pläne des BMG. Nach dem derzeitigen Stand dienen sie auch nicht dazu, eine patient:innenorientierte Arzneimittelversorgung zu verbessern, was aber dringend notwendig ist, sollen die zukünftigen Herausforderungen für die Arzneimittelversorgung und für die Gesundheit der Bevölkerung bewältigt werden. Für den VdPP ist es stattdessen dringend erforderlich, das Apothekenwesen und vor allem die Kompetenzen der pharmazeutischen Profession intelligenter als bisher für die Versorgung zu nutzen, auch unter dem Aspekt der Versorgungsgerechtigkeit zugunsten vulnerabler Gruppen und unterversorgter Regionen.
Herausforderungen für das Gesundheitswesen
Die Herausforderungen für das Gesundheitswesen sind angesichts der finanziellen Nöte, des demographischen Wandels, der sich abzeichnenden vermehrten Altersarmut und des bestehenden und sich in Zukunft verschärfenden Fachkräftemangels immens. Der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen (SVR-G) hat in vielen seiner Gutachten herausgearbeitet, dass der Mangel an Prävention und Gesundheitsförderung, der Mangel an interprofessioneller Zusammenarbeit und das nicht Erreichen der besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppen wesentliche Gründe für die Probleme sind und sich in Zukunft weiter verstärken werden. Es besteht also dringender Handlungsbedarf.
Das BMG plante neben einer Apothekenreform ein Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG), das im Sinne einer von der WHO konzipierten Primärversorgung zum Abbau der wesentlichen Probleme beitragen soll. Die bisher bekannten Pläne sind von Seiten des VdPP bereits kritisch kommentiert worden.** Nach dem neuesten Referentenentwurf (April 2024) sind allerdings überraschenderweise die wesentlichen Primärversorgungsansätze (z. B. Gesundheitskioske) wieder entfernt worden. Mit der jetzt vorliegenden Gesetzesinitiative sollen in erster Linie Hausärzte finanziell bessergestellt sowie die Zuständigkeit für das Apothekenhonorar aus dem Wirtschafts- in das Bundesgesundheitsministerium verlagert werden.
Apothekenreform mit Primärversorgungsansätzen verknüpfen!
Apotheken und pharmazeutische Leistungen kommen im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz nicht vor. Gleichzeitig soll aber mit der Apothekenreform des BMG die flächendeckende Arzneimittelversorgung über Vor-ort-Apotheken und Zweigapotheken gestützt werden.
Der VdPP fordert, die Apothekenreform mit den bisher in den älteren Entwürfen eines GVSG vorgesehenen Primärversorgungsansätzen von Anfang des Jahres 2024 zu verknüpfen mit dem Ziel, die Arzneimittelversorgung endlich interprofessionell zu organisieren und verstärkt auf die Versorgung der besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppen zu fokussieren. Apotheken sind dabei wichtige Anlaufstellen für die Bevölkerung und im Sinne von Public Health unverzichtbar für die Sicherheit der Arzneimittelversorgung und für die flächendeckende Erreichbarkeit der Bevölkerung – auch für Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung. Letzteres zeigte sich eindrucksvoll während der Corona-Pandemie.
Zur Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen müssen die in den Apotheken vorhandenen und auszubauenden pharmazeutischen Kompetenzen im Vordergrund stehen, abgesichert mit der Bereitstellung von ausreichenden, auch finanziellen Ressourcen und geeigneten Rahmenbedingungen.
Pharmazeutische Kompetenzen werden vor allem an den Schnittstellen gebraucht
In folgenden Bereichen muss pharmazeutische Kompetenz deutlich mehr als bisher genutzt werden:
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Schnittstelle stationär-ambulant: Derzeit werden Patient:innen und deren Angehörige zu oft allein gelassen, wenn sie aus dem Krankenhaus entlassen werden und die weitere Medikation sichergestellt werden muss. Die Folge sind vermeidbare Medikationsfehler mit teils gravierenden Nachteilen für die Patient:innen und sogar Wiedereinweisungen ins Krankenhaus; im schlimmsten Fall sind Todesfälle zu beklagen. Apotheken bzw. pharmazeutische Kompetenzen im ambulanten Bereich sind bislang so gut wie gar nicht im Entlassmanagement der Krankenhäuser involviert (Stationsapotheker:innen sind allerdings in Krankenhäusern im Medikationsmanagement tätig, meist aber nicht im Entlassmanagement). Das muss sich ändern und die Honorierung der ambulant erbrachten pharmazeutischen Leistungen darauf ausgerichtet werden.
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Schnittstelle ambulante Arzneimittelversorgung / Alten- und Pflegeheime: Mit Fortschreiten des demographischen Wandels bei gleichzeitiger Zunahme des Fachkräftemangels müssen alle verfügbaren Kompetenzen optimal genutzt werden. Schon zum jetzigen Zeitpunkt sind viele Medikationsfehler an der Schnittstelle Alten- und Pflegeheime, ärztliche und pharmazeutische Versorgung zu beklagen. Gründe sind vor allem unzureichende Abstimmungen, Zeitmangel und eine Überforderung des verfügbaren Personals bzw. eine zu geringe Nutzung von Kompetenzen des pharmazeutischen Personals z. B. im Rahmen von Fortbildungsangeboten zur Arzneimittelversorgung. Auch dies ist inzwischen national wie international als wesentliches Problem anerkannt. Die bevorstehende Weiterentwicklung der stationären Pflege bis hin zu akademisierten Pflegeleistungen – auch in Deutschland – ist in diesem Zusammenhang sehr zu begrüßen. Nun gilt es, die pharmazeutischen Kompetenzen verstärkt zu nutzen und in die Planungen zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit einzubeziehen. Die Bestimmungen zu den Arzneimittelversorgungsverträgen nach §12a Apothekengesetz sollten in dieser Hinsicht weiterentwickelt werden.
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Information und Beratung der Patient:innen und Kund:innen durch das pharmazeutische Personal in Apotheken Die richtige Anwendung von Arzneimitteln mag für viele Menschen selbstverständlich sein. Ergebnisse von Untersuchungen zeigen aber, dass ein großer Teil der Bevölkerung Schwierigkeiten mit der korrekten Anwendung von Arzneimitteln hat mit der Folge von gesundheitlichen Risiken und finanziellen Belastungen der Menschen und der Krankenkassen. Zudem wird klima- und umweltbelastender Arzneimittelmüll über das unvermeidbare Maß hinaus produziert. Mit zunehmendem Alter und mit einer Zunahme des Anteils an sozial Benachteiligten an der Gesamtbevölkerung häufen sich die Anwendungsfehler, sodass vor dem Hintergrund des demographischen Wandels mehr und effektivere Unterstützungsangebote notwendig sind. Die Honorierung der Pharmazeutischen Dienstleistung „Erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation“ ist ein erster Schritt, der interdisziplinär weiterentwickelt werden muss.
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Zusammenarbeit bei der ambulanten medizinischen und pharmazeutischen Versorgung: Eine gute Zusammenarbeit von medizinischer und pharmazeutischer Versorgung wird heutzutage in zu wenigen Fällen praktiziert. Berufsrechtliche Schranken und Kompetenzgerangel zwischen Ärzt:innen und Apotheker:innen sowie die organisatorischen Schranken zwischen Arztpraxis und Apotheke behindern eine optimale Versorgung von Patient:innen. Stationsapotheker:innen in Krankenhäusern – im Krankenhausgesetz Niedersachsens gesetzlich festgeschrieben – konnten in Krankenhäusern inzwischen nachweisen, wie eine gute Zusammenarbeit auf Augenhöhe im stationären Setting möglich ist.*** Auf vergleichbare strukturelle Voraussetzungen muss auch im ambulanten Bereich hingearbeitet werden, um den zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden. Das Projekt ARMIN in Sachsen und Thüringen konnte bereits zeigen, wie strukturierte Zusammenarbeit zwischen ambulanter medizinischer und pharmazeutischer Versorgung zu Erfolgen führt.
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Schnittstelle Versorgung Erkrankter und Prävention/Gesundheitsförderung: Es ist zu kurz gesprungen, will man allein über eine Optimierung der Versorgung die zukünftigen Herausforderungen meistern. Prävention und Gesundheitsförderung sind ebenso auszubauen. Auch dies wird in der Bundesrepublik schon seit vielen Jahren angemahnt. Der Aufbau und die Pflege von Versorgungs- und Präventionsnetzwerken, insbesondere auf lokaler Ebene, sind notwendig, um alle Menschen zu erreichen.
Als besonderes Beispiel ist hier die Herausforderung bei klimabedingten Hitzewellen zu nennen, in denen Apotheken häufig früher und schneller als andere Institutionen die Gefährdung ihrer Patient:innen erkennen und sie bezüglich ihres Verhaltens und ihrer ggf. anzupassenden Medikation beraten können. Die niedrigschwelligen Apotheken mit ihrem oftmals hohen Vertrauen in der Bevölkerung können in solchen Netzwerken eine sehr wichtige Rolle spielen.
Für besonders benachteiligte Bevölkerungsgruppen, die bislang unzureichend erreicht werden, sind besondere Versorgungs- und Gesundheitsförderungsangebote notwendig. Für neue Einrichtungen der Primärversorgung (z. B. „Gesundheitskioske“) müssen pharmazeutisch ausgebildete Fachkräfte vorhanden oder leicht erreichbar sein, die Nutzen und Risiken beim Einsatz von Arzneimitteln kennen und den Mitarbeitenden und ggf. auch direkt den Nutzer:innen dieser Einrichtungen professionell vermitteln können.
Apothekenwesen patient:innenenorientiert und professionell pharmazeutisch ausrichten!
Um die Apotheken in die neuen Planungen für eine zukunftsweisende Arzneimittelversorgung einzubeziehen, muss mit der geplanten Apothekenreform kurzfristig das Apothekensterben gestoppt werden, vorrangig in Regionen, in denen bislang schon weite Wege für die Bevölkerung zur nächsten Apotheke bewältigt werden müssen und in Quartieren mit besonderem Entwicklungsbedarf. Denn gelingt dies nicht, drohen Versorgungslücken, die zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr oder nur noch schwer wieder geschlossen werden können.
Gleichzeitig muss dafür gesorgt werden, dass die pharmazeutischen Kompetenzen verstärkt für die Arzneimittelversorgung der Menschen vor Ort inklusive patient:innenenorientierter Information und Beratung sowie für die interprofessionelle Zusammenarbeit genutzt werden. Möglichkeiten müssen dabei zielgruppengerecht ausgebaut werden. Darüber hinaus müssen die Apotheken in die lokalen Bemühungen für Prävention und Gesundheitsförderung stärker einbezogen und Teil von lokalen Public Health-Netzwerken werden. In solchen Netzwerken geht es um am Gemeinwohl orientierte Arbeit unterschiedlicher Beteiligter und unterschiedlicher Verwaltungsbereiche der Kommunen für die Gesundheit der Bevölkerung („Health in all Policies“). Apotheken und ihr Personal können durch ihre Nähe zur Bevölkerung wichtige Informationsvermittler sein und insbesondere pharmazeutische Aspekte der Prävention und Versorgung einbringen.
Für den VdPP ist es vorrangig, dass Apotheken im Sinne einer patient:innenorientierten Arzneimittelversorgung handeln können und dass pharmazeutische Kompetenzen in hoher Qualität dem Gesundheitswesen versorgungs- und bedarfsgerecht zur Verfügung stehen.
Eine Apothekenreform und ein mit Primärversorgungsansätzen versehenes Versorgungsgesetz des BMG müssen aus unserer Sicht zusammengedacht und weiterentwickelt werden. Werden die Kompetenzen der pharmazeutischen Profession und die Chancen einer niedrigschwelligen Arzneimittelversorgung über Apotheken nicht ausreichend berücksichtigt, werden die zukünftigen Herausforderungen für die Arzneimittelversorgung nicht zu meistern sein. In anderen Ländern wurde bereits gezeigt, wie das pharmazeutische Potenzial besser für Versorgung und Prävention eingesetzt werden kann ****. Diese Erkenntnisse müssen auch in der Bundesrepublik genutzt werden. Das von der Bayerischen Landesapothekerkammer getragene und projektbezogen von Seiten der Staatsregierung mitfinanzierte Wissenschaftliche Institut für Prävention im Gesundheitswesen (WIPiG) ist ein guter Ansatz, der noch mehr als bisher interprofessionell und auf Public Health-Ziele ausgerichtet werden sollte.
Die derzeitigen Umbruchzeiten müssen vor dem Hintergrund der zukünftigen Herausforderungen – auch im Apothekenwesen – für eine Weiterentwicklung des bisherigen Systems von Versorgung, Prävention und Gesundheitsförderung genutzt werden. Ziel muss es sein, im Sinne nachhaltiger Prinzipien die Gesundheit der Bevölkerung, insbesondere der sozial Benachteiligten, zu erhalten und zu fördern.
Vorstand des VdPP
auf der Grundlage eines Entwurfs, den die Mitgliederversammlung des VdPP am 9. Juni 2024 in Hamburg verabschiedete
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Literaturhinweise:
* Steigerung um mehr als fünf Prozent. Höchste Notdienstpauschale seit Gründung des NNF. In: Deutsche Apotheker Zeitung online: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2024/03/20/hoechste-notdienstpauschale-seit-gruendung-des-nff
** z. B. Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG): Chancen nutzen! In: Deutsche Apotheker Zeitung online v. 30.06.2023. https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2023/06/30/chancen-nutzen
*** z. B. Skjøt-Arkil H, Lundby C, Kjeldsen LJ et al: Multifaceted Pharmacist-led Interventions in the Hospital Setting: A Systematic Review
**** Über Beispiele für erweiterte pharmazeutische Dienstleistungen in der Versorgung und bei Prävention und Gesundheitsförderung in unterschiedlichen Ländern berichtet die Serie „An international series on the integration of community pharmacy in primary health care“ der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Pharmacy Practice. Die einzelnen Artikel (open access) wurden in den Jahren 2020 und 2021 veröffentlicht, z. B.
England: https://pharmacypractice.org/index.php/pp/article/view/1870/787;
Spanien: https://pharmacypractice.org/index.php/pp/article/view/1999/813;
Australien: https://pharmacypractice.org/index.php/pp/article/view/1967/808;
Portugal: https://pharmacypractice.org/index.php/pp/article/view/2043/823;
USA: https://pharmacypractice.org/index.php/pp/article/view/2160/846;
Kanada: https://pharmacypractice.org/index.php/pp/article/view/2171/850;
Dänemark: https://pharmacypractice.org/index.php/pp/article/view/2212;
Deutschland: https://pharmacypractice.org/index.php/pp/article/view/2248;
Der Sachverständigenrat Gesundheit berichtete bereits im Jahr 2009 über gute ausländische Beispiele: https://dserver.bundestag.de/btd/16/137/1613770.pdf, hier Seiten: 348-351, vor allem die Ziffern 761-764.
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TERMINE
25. November, online
VdPP-BPhD-Seminarreihe zu "Pharmazie und Planetary Health"
02. Dezember, online
02. Dezember, online
VdPP-BPhD-Seminarreihe zu "Pharmazie und Planetary Health"
09. Dezember, online
VdPP-BPhD-Seminarreihe zu "Pharmazie und Planetary Health"
16. Dezember, online
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06. Januar, online
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