Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) e. V.

Liefer-/Versorgungsengpässe

 

Industrie in die Pflicht nehmen

 

Positionspapier des Vereins demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten, VdPP

 

Die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln ist Teil der staatlichen Daseinsvorsorge. Versorgungsengpässe können in diesem Bereich zu massiven gesundheitlichen Schäden bei Patient:innen führen und unterscheiden sich daher grundlegend von Lieferproblemen in den meisten anderenWirtschaftsbereichen. Kurzfristige Lieferengpässe müssen nicht zu Versorgungsengpässen werden, denn die Apotheken können Alternativen abgeben, Rücksprache mit den verordnenden Ärzt:innen halten und

mit den betroffenen Patient:innen klären, wie sie mit der neuen Lage umgehen können. So der Alltag in vielen Apotheken, teils mit großem Arbeitsaufwand und kommunikativen Herausforderungen

verbunden. Sind die Lieferengpässe aber dauerhaft, können sie zu einem Versorgungsengpass führen. Dieser hat erhebliche Auswirkungen auf die Arbeit der Apotheke und nicht zuletzt auf die Gesundheit der

Patient:innen, denen im schlimmsten Fall Arzneimittel fehlen.

 

Aktuell werden auf der Website des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) über 400 Lieferengpässe von Arzneimitteln gelistet. Es ist beschämend für die Politik, dass die Lieferengpässe bei Arzneimitteln erst diese Ausmaße annehmen mussten, bevor das Problem ernst genommen wird.

Verantwortlich ist letztlich ein Nebeneinander von staatlicher Hilflosigkeit gegenüber Patentinhabern für neue Arzneimittel und dem politischen Willen, bei Nachahmerprodukten durch vollkommen überzogenen Wettbewerb den letzten Cent herauszudrücken. So sind parallel unterschiedliche Ursachen für

Lieferengpässe entstanden, die teils direkt in der gesetzlichen Regulierung und teils im Profitstreben der Pharmaunternehmen zu suchen sind. Entsprechend unterschiedlich müssen die politischen Maßnahmen zur Sicherung der Arzneimittelversorgung aussehen.

 

Im Arzneimittelgesetz (AMG) wurde den Unternehmen ein Sicherstellungsauftrag für die Versorgung mit Arzneimitteln gegeben (§ 52b AMG). Dieser Auftrag ist jedoch durch nichts hinterlegt: Weder werden seine

Einhaltung überprüft, noch Verstöße gegen diese Norm sanktioniert. Es ist nicht einmal definiert, was zur Erfüllung des Auftrages führt. Der VdPP fordert, diesen Gemeinwohlauftrag endlich mit Leben zu füllen. Die Erlaubnis, in Deutschland bzw. der EU ein Arzneimittel zu vertreiben, ist mit der Zulassung an verschiedene Auflagen geknüpft. Robuste und transparente Lieferketten sowie der Nachweis von stabilen Herstellungsprozessen müssen in die Auflagenliste aufgenommen werden. Natürlich ist der Hersteller nicht

für jede Eventualität haftbar zu machen. Aber bei Lieferschwierigkeiten ist die Darlegung von Ursachen und eine Beweispflicht, dass die Ursachen für das Unternehmen unabwendbar waren, zumutbar und notwendig. Ein notwendiger Schritt ist dafür eine gesetzliche Meldeverpflichtung für bestehende und abzusehende Lieferengpässe, die mit wirksamen Überwachungs- und Sanktionsregelungen flankiert ist. Das

schon bestehende, aber auf Freiwilligkeit beruhende Melderegister muss entsprechend weiterentwickelt und weiterhin öffentlich sein, damit Patient*innen, Ärzt*innen und Pharmazeut*innen rechtzeitig reagieren

können.

 

Nicht mehr als ein sinnvoller Baustein kann die (Rück-) Verlagerung der Produktion nach Deutschland bzw. die Europäische Union sein. Die fast reflexhaften Forderungen von konservativer und liberaler Seite, den

Unternehmen dafür Steuergelder zur Verfügung zu stellen, verdeutlichen: Es geht hier zu großen Teilen um wirtschaftsfördernde Standortpolitik, nicht primär um Versorgungssicherung. Schließlich sind es die gleichen Protagonist:innen, die Auflagen der Industrie ablehnen. Sicher sind Produktionsanlagen in Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) e. V. räumlicher Nähe und in Staaten, deren Regierungen ähnliche Ziele verfolgen, besser zu überwachen. Es wäre trotzdem illusorisch, zu glauben, es wäre eine volle Unabhängigkeit von außereuropäischen Staaten

möglich. Ebenso illusorisch ist die Annahme, die Unternehmen würden in der EU nicht die gleichen Ziele der Rationalisierung verfolgen und die Produktion auf Kante nähen. So wird auch in Zukunft die Herstellung der Wirk- und Hilfsstoffe auf unterschiedliche Produktionsschritte und -standorte verteilt werden; hinzu kommt die Fertigung der Arzneiformen (Tabletten, Kapseln etc.) und des Verpackungsmaterials in unterschiedlichsten Teilen der Welt. Eine Verlagerung der Produktion alleine wird ohne verschiedene Paradigmenwechsel kaum die propagierten Ziele erreichen.

Im Bereich der Generika (Nachahmerprodukte) wurde versucht, die überbordenden Gewinne, die mit patentgeschützten Arzneimitteln erzielt werden, durch Einsparungen im Generikabereich zu kompensieren.

Hier hat der verordnete Preiskampf tatsächlich zu einer Oligopolisierung geführt und die Versorgungssicherheit beschädigt. Insbesondere die Rabattverträge der einzelnen Krankenkassen haben in der Versorgung das

„Durcheinander“ durch Lieferengpässe forciert.

 

Der VdPP fordert seit langem, Rabattverträge abzuschaffen und durch eine maßvoll verschärfte Festbetragsregelung zu ersetzen. Hier können Preisregulierungsmaßnahmen anderer europäischer Länder als Blaupause dienen.

Einzelne Apotheken haben angefangen, nicht lieferbare Kinderarzneimittel selbst herzustellen. Auch wenn das sicher nicht die Lösung des Problems ist, zeigt es doch, dass die Infrastruktur vor Ort auf Krisen reagieren kann. Hier zeigt sich auch der Vorteil einer Apotheke vor Ort: Versandhandelsapotheken können Rezepturen strukturbedingt nicht anbieten und damit kurzfristig Patient:innen nicht versorgen.

Der internationale Arzneimittelhandel folgt letztlich den höchsten zu erzielenden Profiten. So werden inzwischen Arzneimittel aus dem deutschen Markt abgezweigt und exportiert, während zugleich preisgünstigere Präparate aus dem Ausland mittels der gesetzlichen Förderung von Parallelimporten ins

Land geholt werden sollen. Die Industrie reagiert mit einer Verknappung (Kontingentierung) der Lieferungen an den Großhandel oder setzt auf sehr problematischen Direktvertrieb an die Apotheken. Dies muss geändert werden.

 

Forderungen des VdPP:

 

1. Der Sicherstellungsauftrag der Industrie (§ 52b AMG) muss mit klaren Anforderungen zu Robustheit von Lieferketten und Herstellungsprozessen, ausreichender Diversität von Zulieferern und Standorten sowie

entsprechende Dokumentationspflichten versehen werden. Besonders versorgungswichtige oder engpassbedrohte Arzneimittel müssen in ausreichender Menge bevorratet werden. Diese Auflagen sollten

Teil der Zulassung sein, Zuwiderhandlungen werden sanktioniert. Die Patient:innen sollten Schadensersatzansprüche bzw. die Krankenkassen Regressrechte erhalten, falls aus einem durch den Hersteller verschuldeten Engpass gesundheitliche bzw. finanzielle Nachteile entstehen.

 

2. Die Hersteller müssen gesetzlich verpflichtet werden, bestehende und abzusehende Engpässe an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zu melden. Dazu gehört eine überprüfbare Darlegung

der Gründe für den Engpass und inwiefern er für den Hersteller unabwendbar war.

 

3. Rabattverträge werden abgeschafft und durch eine Festbetragsregelung ersetzt, die eine ausreichende Zahl von Herstellern sichert. Bei Lieferengpässen müssen dauerhaft großzügige Ermessensspielräume von Ärzt:innen und Pharmazeut:innen zur Sicherung der Versorgung gelten. Wirtschaftlichkeit muss dann hintenanstehen, bzw. die Schuldigen an dem Engpass müssen dafür aufkommen (s. Forderung 1).

 

4. Die Lieferkette Hersteller – Großhandel – Apotheke ist zu stärken. Der Direktvertrieb soll ebenso auf besondere Einzelfälle begrenzt werden, wie der Export von Präparaten, die vom Hersteller für die Versorgung in Deutschland ausgeliefert wurden. Zwischenhändler und Arzneimittelvermittler sind streng zu regulieren und auf Fälle zu reduzieren, in denen sie die Versorgungsqualität verbessern. Die Kontingentierung von Arzneimitteln, also Präparate, die von den Herstellern verknappt werden, sollte so überflüssig werden und der Direktverkauf unter Umgehung des Großhandels auf versorgungswichtige

Einzelfälle beschränkt werden. Die Importförderung im SGB V gehört abgeschafft.

 

5. Die Förderung der Herstellung von Arzneistoffen, Hilfsstoffen und Fertigarzneimitteln in der EU ist dann sinnvoll, wenn damit die oben genannten Auflagen zur Stärkung der Versorgungssicherheit einhergehen.

Der Industrie einfach nur mehr Steuergeld an die Hand zu geben, kommt eher einer Umverteilung nachoben gleich. Insbesondere für Generikahersteller kann in einem ersten Schritt eine Berücksichtigung des Herstellungsortes beim Erstattungspreis der Krankenkassen sinnvoll sein. Trotzdem wird eine deutsche

oder europäische Selbstversorgung auf absehbare Zeit kaum gelingen. Die (teuren) Bemühungen in diese Richtung machen es keinesfalls überflüssig, die Überwachung von Herstellern für den europäischen Markt in allen Teilen der Welt ganz erheblich zu verbessern.

 

6. Die Arzneimittelüberwachung muss dafür stärker zentralisiert werden. Die EU muss ihre Überwachungsbehörden besser ausstatten und ausreichend unangekündigte Kontrollen auch außerhalb der EU gewährleisten. Da die Interessen und Anforderungen an sichere Arzneimittel und sichere

Versorgung in vielen Staaten der Welt ähnlich sind, wäre ein internationaler Vertrag oder eine WHOVerantwortung zur gemeinsamen Überwachung der großen Konzerne der richtige Weg, um eine Überwachung auf Augenhöhe gewährleisten zu können.

 

 

VdPP-Vorstand

 

13.02.2023

http://www.vdpp.de

TERMINE

 

07. Oktober, online

Pharmacists for Future (Ph4F) 

 

18. November, online

VdPP-Vorstandssitzung 

 

04. November, online

Pharmacists for Future (Ph4F) 

 

02. Dezember, online

Pharmacists for Future (Ph4F)