Stellungnahme des Vereins demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP)
VdPP lehnt Vorhaben der EU-Kommission zur Zentralisierung von Nutzenbewertungen ab
Hamburg, 06. Februar 2018 – Die EU-Kommission hat am 31. Januar 2018 einen Regelungsentwurf vorgelegt, der eine zentralisierte Nutzenbewertung medizinischer Verfahren vorsieht. Deren Ergebnisse wären bindend. Nationale Bewertungen – vollständig oder ergänzend – dürften parallel nicht mehr vorgenommen werden. Derzeit führen die Mitgliedsländer selbst Nutzenbewertungen durch und entscheiden auf ihrer Grundlage über die Aufnahme in ihre nationalen Gesundheitssysteme. Die neue Regelung würde bestimmte Medizinprodukte insbesondere aber die meisten aller neu zugelassenen Arzneimittel betreffen.
Die methodische Qualität von Arzneimittelbewertungen wird sinken.
Aktuell werden diese Bewertungen vom unabhängigen Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) erstellt, das per Gesetz den Standards der evidenzbasierten Medizin (ebM) verpflichtet ist und seine wissenschaftliche Methodik öffentlich zur Diskussion stellt. Viktoria Mühlbauer vom Vorstand des Vereins demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) warnt: „Die Arbeit des IQWiG ist auch im internationalen Maßstab wegweisend. Ein einheitliches Verfahren auf EU-Ebene gefährdet die in Deutschland erreichten hohen Standards in der Nutzenbewertung von Arzneimitteln. Wer diese Standards absenkt, opfert den Anspruch der Patienten auf die bestmögliche Therapie im Interesse der Pharmahersteller und provoziert zudem eine weitere Explosion der Arzneimittelausgaben. So verwundert es nicht, dass Pharmaverbände diese Initiative umgehend begrüßt haben.
Die geplanten Regelungen legen die evidenzbasierte Methodik nicht explizit fest. Es steht leider zu erwarten, dass die auf EU-Ebene festzulegenden Anforderungen an die Nutzenbewertung weit hinter das in Deutschland erreichte wissenschaftliche Niveau zurückfallen. Es ist ein Verdienst des IQWiG, dass in Deutschland nur Studien berücksichtigt werden, die tatsächlich einen Effekt auf die Gesundheit oder das Überleben bei den Patientinnen und Patienten messen. Labormesswerte, bei denen der Zusammenhang mit der Erkrankung nicht klar ist, bleiben zu Recht außen vor. Gerade solche Studien könnten nun auf EU-Ebene aber plötzlich wichtig werden und die Nutzenbewertung zwar nicht für Patienten, wohl aber für die pharmazeutischen Unternehmer günstiger erscheinen lassen. Dass die anerkannten wissenschaftlichen Prinzipien nicht vorgeschrieben sind, dürfte zudem den von der europäischen Arzneimittelagentur EMA vorgeschlagenen Weg ebnen, auch die Anforderungen an die Arzneimittelzulassung aufzuweichen (adaptive pathways) und so zusätzlich die Vermarktung unzureichend geprüfter Arzneimittel erleichtern.“
Unabhängigkeit und Transparenz von Arzneimittelbewertungen sind bedroht.
Der aktuelle Entwurf sieht vor, dass die Methoden zur Bewertung von der EU-Kommission per Rechtsakt festgelegt werden. Es fehlen allerdings Vorgaben zur Vollständigkeit der Datenbasis im Hersteller-Dossier, im Bewertungsprozess oder im Bewertungsbericht. Nach einigen erkämpften Fortschritten bei der Transparenz von medizinischen Studien legt die Kommission nun den Rückwärtsgang ein. Wenn nicht alle verfügbaren Untersuchungen in die Bewertung eingehen, wird das Ergebnis verfälscht und ggf. die breite Anwendung neuer Arzneimittel gefördert, zu denen es Alternativen mit höherem Nutzen für die Patienten gibt.
Die Kommission entscheidet abschließend nicht nur über die Bewertung, sondern auch über deren Veröffentlichung. Darüber hinaus ist vorgesehen, dass auch pharmazeutische Unternehmen die Möglichkeit erhalten, die Bewertung vor Fertigstellung zu kommentieren. Mühlbauer fragt: „Wie soll unter diesen Bedingungen die Unabhängigkeit und Transparenz des Verfahrens gewährleistet werden? Was geschieht mit Berichten, welche die EU-Kommission nicht zur Veröffentlichung freigibt? Werden wir erfahren, welche Berichtstexte auf eine Forderung der Industrie zurückgehen?
Derzeit müssen die Hersteller alle von ihnen zur Fragestellung durchgeführten Studien und die relevanten Studienberichte vorlegen. Es gibt zwar Vertraulichkeit, aber alle in der Bewertung verwendeten Daten werden veröffentlicht. Diese Errungenschaft gilt es zu verteidigen. In anderen Ländern wird bisher nur auf publizierte Daten zurückgegriffen oder als vertraulich gekennzeichnete Herstellerangaben (etwa in Großbritannien) werden in Berichten geschwärzt. Bereits im vorangegangen Konsultationsprozess zur weiteren EU-Zusammenarbeit im Bereich Nutzenbewertung wurden Industriegebühren als mögliche Finanzierungsquelle genannt. Nun werden mit zusätzlichen Kommentierungsrechten für Hersteller weitere Vorschläge ins Spiel gebracht, die für die Unabhängigkeit des Bewertungsprozesses eine Gefahr darstellen. Für Patienten keine gute Botschaft!“
Unter den aktuellen Bedingungen wäre die Einführung einer EU-weiten und bindenden Nutzenbewertung neuer Arzneimittel mit einem inakzeptablen Rückschritt hinsichtlich Qualität, Unabhängigkeit und Transparenz des Verfahrens verbunden. Der Vorstoß der Kommission kann in dieser Form nur als Angriff auf den Anspruch der Patienten auf die bestmögliche Arzneimitteltherapie gewertet werden zugunsten von Herstellerinteressen.
VdPP – Vorstand
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Über den VdPP e.V.
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