Pressemitteilung
Hamburg, 8. Januar 2018
Das pharmazeutische Potenzial demokratisch legitimiert weiterentwickeln
Das vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Gutachten „Ermittlung der Erforderlichkeit und des Ausmaßes von Änderungen der in der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) geregelten Preise“ der 2HM & Associates GmbH sorgt in der Apothekerschaft berechtigterweise für große Unruhe. Sollte die neue Bundesregierung die Vorschläge der Kommission umsetzen, droht vielen Apotheken das Aus. Das wäre eine Katastrophe für diejenigen, die als Apothekenbesitzer ihre Existenz aufgeben müssen, die als Angestellte ihren Arbeitsplatz verlieren, aber auch für diejenigen, die „ihre“ Apotheke als Anlaufstelle für Arzneimittel und dies und das wertschätzen.
Es lohnt sich, zunächst zu fragen, wieso es so weit kommen konnte. Aus Sicht des VdPP wurde bislang Wesentliches versäumt:
- Wir haben uns als Apothekerinnen und Apotheker zu wenig darum gekümmert, nachzuweisen, an welcher Stelle Apotheken mit welchem Leistungsangebot welche Gesundheitsgewinne für die Vorort-Bevölkerung liefern. Damit fehlen entscheidende Argumente für ein „Weiter so“ wie bisher.
- Wir haben uns zu wenig um die Weiterentwicklung der pharmazeutischen Arbeitsfelder gekümmert - innerhalb und außerhalb von Apotheken. Andere Länder zeigen sehr interessante Entwicklungen.
- Wir haben uns zu wenig um Aus-, Fort- und Weiterbildung gekümmert, um überzeugend darstellen zu können, dass Gesundheitsförderung, Patientenversorgung und vor allem Arzneimitteltherapiesicherheit zentrale Säulen der Existenzberechtigung von Apotheken sind. Und:
- Wir haben zu viel mit den falschen Bündnispartnern zusammengearbeitet, denn als Bündnispartner eignen sich die pharmazeutische Industrie oder die Werbestrategen einer durchökonomisierten Welt nicht, sondern aus Sicht des VdPP unabhängige Patientenorganisationen, Kostenträger, Gesundheitswissenschaftler und (Lokal-)Politiker.
Interessanterweise stellen die Gutachter die Existenz von Apotheken gar nicht in Frage. Man hätte ja auch auf die Idee kommen können, in Zukunft rezeptpflichtige Arzneimittel in Arztpraxen abgeben zu lassen und verschreibungsfreie Arzneimittel im Mass-Market. Und für die Landbevölkerung stünde der Versand oder der Botendienst aus der Arztpraxis zur Verfügung. Für Ökonomen hätten sich so weitere Einsparmöglichkeiten ergeben. So ähnlich läuft es übrigens in einigen Kantonen in der Schweiz.
Die Vorschläge der Gutachter werden in ihrer dargestellten Form sicherlich nicht umgesetzt. Das Gutachten und die fehlende Regierung bieten aber die Chance, in den nächsten Monaten erstmals seit langem wieder grundsätzlich über die Zukunft der Apotheke und der pharmazeutischen Arbeitsfelder in der ambulanten Versorgung zu diskutieren – und das nicht nur innerhalb der Apothekerschaft.
Aus Sicht des VdPP handelt es sich bei der Zukunft der Honorierung pharmazeutischer Leistungen um ein sehr ernsthaftes Thema, das wir dringend diskutieren müssen. Es geht hierbei nicht nur um die Existenz von Apotheken, sondern auch um die Art und Weise, ob und wie demokratisch die Akteure im Gesundheitswesen agieren. Zu lange schon hatten Deregulierer und Privatisierer das Sagen, zu wenig wurden Interessen der Patientinnen und Patienten und der Beitragszahler berücksichtigt, zu selten rechtliche Änderungen auf ihre Folgen wissenschaftlich untersucht und daraufhin gegebenenfalls korrigiert.
Wir brauchen jetzt, bevor sich eine neue Regierung die Arzneimittelpreisverordnung vornimmt, ein Diskussionsgremium, das auf der Grundlage von Fakten, sowie Erfahrungen in anderen Ländern, Eckpunkte erarbeitet: Was erwarten Apothekerinnen und Apothekern eigentlich im zukünftigen Gesundheitswesen und welche Rolle sollen darin Apotheken spielen – in den Städten und auf dem Land. Dieses Gremium muss aus Sicht des VdPP in erster Linie die Interessen von Patientinnen und Patienten und der Beitragszahler widerspiegeln und insofern demokratisch legitimiert sein. Auch andere Eigentumsformen von Apotheken gilt es zu berücksichtigen, die aus Sicht des VdPP jedoch gemeinwesen- und patientenorientiert sein müssen. Darauf aufbauend sind die Gesetze und Verordnungen Stück für Stück und damit auch die Arzneimittelpreisverordnung so zu verändern, dass das pharmazeutische Potential besser als bisher und im Sinne der Gesundheit der Bevölkerung zur Geltung kommt. Erst dann sollten das 2HM-Gutachten sowie andere Berechnungsmodelle hinzugezogen werden.
Der VdPP wehrt sich gegen eine planlose Zerstörung des bestehenden Systems, damit sich auf den Trümmern im freien Spiel der Marktkräfte neue Strukturen etablieren, wie es sich viele Ökonomen vielleicht vorstellen. Wir setzen uns dafür ein, dass sich die Pharmazie in einem patientenorientierten Gesundheitswesen weiterentwickelt und die Rahmenbedingungen und Anreize so setzt, dass Apothekerinnen und Apotheker für qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung von Patientinnen und Patienten bezahlt werden. Diesen Weiterentwicklungsprozess muss die Gesellschaft breit tragen und die Wissenschaft eng begleiten. Deshalb brauchen wir zunächst ein solches Diskussionsgremium; am besten eingeladen und moderiert vom Bundesparlament. Denn die Regierung soll Gesetze erarbeiten und verabschieden.
Ansprechperson/en:
Esther Luhmann, VdPP Referentin, E-Mail: referentin@vdpp.de,
Sabine Hensold, VdPP Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, E-Mail: presse@vdpp.de, Tel. 0163-1469696
Über den VdPP
Im Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten, gegründet im Juni 1989, sind KollegInnen organisiert, die sich mit der jetzigen Situation im Gesundheitswesen nicht abfinden möchten.
Vereinsziele
- Patientenorientierte Arzneimittelberatung und -Versorgung
- Evidenzbasierte Pharmazie
- Demokratisierung des Gesundheitswesens und der Standesorganisationen
- Zusammenarbeit aller Akteure im Gesundheitswesen
- Stärkung des Verbraucherschutzes und der Patientenbeteiligung im Gesundheitswesen
- Zugang aller Menschen weltweit zu einer ausreichenden Arzneimittelversorgung
- Begrenzung der Marktmacht der pharmazeutischen Industrie
TERMINE
07. Oktober, online
18. November, online
VdPP-Vorstandssitzung
04. November, online
25. November, online
VdPP-BPhD-Seminarreihe zu "Pharmazie und Planetary Health"
02. Dezember, online
02. Dezember, online
VdPP-BPhD-Seminarreihe zu "Pharmazie und Planetary Health"
09. Dezember, online
VdPP-BPhD-Seminarreihe zu "Pharmazie und Planetary Health"
16. Dezember, online