Pressemitteilung
Hochpreisige Arzneimittel: Pharmaindustrie verabschiedet sich von Moral und Solidargedanken
Hamburg, 29. Januar 2020
Der Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) fordert die Bundesregierung auf, rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um das ethisch hoch fragwürdige Vorgehen verschiedener Pharmafirmen bei der Vermarktung ihrer z. T. völlig überteuerten Produkte zu beenden. Gleichzeitig müssen gesetzliche Voraussetzungen geschaffen werden, dass neue Arzneimittel für die Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherten (GKV) bezahlbar bleiben.
Immer öfter wird in Deutschland das Heilmittelwerbegesetz umgangen und für verschreibungspflichtige Arzneimittel geworben. Insbesondere bei schwersten Erkrankungen, wie z. B. die Spinale Muskelatrophie (SMA), auch „Muskelschwund“ genannt, werden Eltern instrumentalisiert, Therapien einzufordern, auch wenn zur Behandlung zugelassene Arzneimittel zur Verfügung stehen. Häufig wird derartige Arzneimittelwerbung „getarnt“ in „informierenden Anzeigen“, über Zeitungsbeiträge, oder sie werden über Selbsthilfegruppen empfohlen.
Das Beispiel des SMA-Arzneimittels Zolgensma der Firma Novartis zeigt, dass große Pharmafirmen immer weniger selbst forschen. Stattdessen versorgen sie gezielt entweder Universitäten mit erforderlichen Finanzmitteln oder kaufen kleine erfolgversprechende Biotechfirmen. Die Kosten derartiger Unternehmungen müssen aus Sicht der Investoren schnellstmöglich wieder eingebracht werden, wobei auf Beitragszahler und auf das Finanzgefüge der GKV als Ganzes keine Rücksicht genommen wird.
Ein Beispiel: Die einmalige Behandlung mit Zolgensma kostet über 2 Millionen EUR. Der Preis wird mit dem Wert von gewonnener Lebensqualität, -zeit oder eingesparten Kosten, z. B. für Pflege, begründet. Früher wurde hingegen mit hohen Forschungskosten argumentiert. Beides ist jedoch nicht korrekt und vor allem nicht überprüfbar. Die Unternehmen sind nämlich nicht bereit offenzulegen, welche Kosten für den Kauf der Patente/Firmen, für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden; das gleiche gilt für Marketing, also z.B. Zahlungen für meist fragwürdige Anwendungsbeobachtungen, Vortragende oder Kongresse.
Mit der Vermarktung von Zolgensma wurde in mehrfacher Hinsicht ein neues Kapitel eingeleitet: Preise in dieser Höhe wurden bislang noch nie für ein Arzneimittel gefordert. Sofern sich diese Geschäftspolitik als Blaupause durchsetzt, wird angesichts weiterer Arzneimittel dieser Art in Zukunft damit zu rechnen sein, dass die Arzneimittelausgaben den Rahmen des Möglichen der GKV sprengen werden und somit das ganze GKV-System in Frage gestellt wird.
Zudem ist es ethisch nicht akzeptabel, dass Krankenkassen und die Gesellschaft als Ganzes mit Video-Homestories (z. B. in den USA: www.Zolgensma.com) unter Druck gestellt werden. In emotionaler Form zeigen solche Filme erkrankte Kinder, die das Arzneimittel erhalten und Besserung erfahren haben. Eine derartige Werbung ist in Deutschland zwar nicht zulässig, dennoch hat es Zolgensma auf diese Weise in die bundesdeutschen Medien geschafft: Die „Bild“-Zeitung berichtet online über kleine Patienten und den „Kampf“ der Eltern mit den Kostenträgern. Völlig ausgeblendet wird, dass die Kinder ggf. auf ein zugelassenes Arzneimittel (z. B. Spinraza®) eingestellt sind. Auch die Anwendung eines nicht zugelassenen Arzneimittels (off-label) ist kein Thema. Dies birgt aber erhebliche Risiken für die Patient*innen und haftungsrechtliche Fragen für die behandelnden Ärzt*innen.
Anstelle ein für besondere Fälle rechtlich vorgesehenes Härtefallprogramm beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zur Anzeige zu bringen. (1) (sog. „Compassionate Use“-Programm), wie es in ähnlich gelagerten Fällen Standard ist, soll Zolgensma nunmehr weltweit „verlost“ werden. (2)
Novartis hat Krankenkassen zudem „angeboten“, zunächst eine „Anzahlung“ in Höhe von 10 EUR zu leisten und dann später den Rest zu zahlen. Insgesamt kann hier nur von einer „Verrohung“ und von Zynismus seitens der Pharmazeutischen Industrie gesprochen werden.
Der VdPP fordert von der Bundesregierung, diese Form der „Vermarktung“ zu beenden. Es müssen gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, um eine Preisfestsetzung via externer Preisreferenzierung durchführen zu können: Gleichzeitig muss eine breite Diskussion angestoßen werden, z. B. mit dem Deutschen Ethikrat zusammen mit dem Sachverständigenrat Gesundheit und weiteren Expertengremien im Gesundheitswesen – auch europaweit. (3) Es muss die Frage dringend beantwortet werden, wie das solidarisch finanzierte Gesundheitswesen angesichts der aktuellen Entwicklungen erhalten werden kann.
VdPP-Vorstand
Ansprechpartner:
Sabine Hensold, Pressestelle VdPP, Tel. 0163-1469696, E-Mail: presse@vdpp.de
Esther Luhmann, VdPP-Vorstandsreferentin, Tel. 0176-20839802, E-Mail: referentin@vdpp.de
Mehr Informationen unter www.vdpp.de
Über den VdPP e.V. Der Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten besteht seit Juni 1989. Im VdPP sind Kolleg*innen organisiert, die sich mit der jetzigen Situation im Gesundheitswesen nicht abfinden möchten. Vereinsziele:
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