Insuline: analog und inhaliert

von Ulrike Faber

 

Als der 13-jährige Leonard Thomp­son 1922 in Toronto durch die In­jektion von Rinderinsulin aus dem diabetischen Koma geholt werden konnte, war der bahnbrechende therapeutische Einsatz dieses Pep­tidhormons gelungen. Schon 1923 brachte Lilly in Kanada das erste In­sulin-Präparat „Isletin” auf den Markt. Zwei Nobelpreise sind für die Erfolge vergeben worden: 1923 an Banting und Mcleod für die Ex­traktion des Insulins und 1958 an Sanger für die Aufklärung der Struk­tur des Moleküls.

 

 

Fortschritte


Weitere Meilensteine dieser Ent­wicklung waren Zubereitungsmodi­fikationen mit Änderungen der Wirkdauer (Zink-Komplexe, Neutra­les Protamin Hagedorn), Entwick­lung von Pens und Pumpen sowie die leichter durchführbare Blutzu­ckermessung: Das alles hat die Insulintherapie wesentlich verbessert und den Diabetikern einen autono­men Lebensstil enorm erleichtert.

 

1982 gelang schließlich die gen­technische Herstellung von Human­insulin, durch das bis 2006 sukzessi­ve der Einsatz von tierischen Insuli­nen fast vollständig abgelöst wor­den ist.

 

 

Insulin: analog

 

Ob die seit 1996 vermarkteten Kunstinsuline (Insulinanaloga) gro­ße therapeutische Vorteile bringen, ist selbst nach 10 Jahren noch nicht überzeugend durch Studien belegt. Fünf verschiedene Insulinmodifikati­onen mit veränderter Aminosäure­sequenz stehen bis heute zur Verfü­gung, von diesen sind drei kurz­wirksam.

 

Für die Bewertung der kurzwirksa­men Insulinanaloga bei Typ-2-Diabetes hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesund­heitswesen (IQWiG) alle international verfügbaren Studien herangezo­gen. Von ihnen waren nur sieben randomisierte kontrollierte Studien (RCT) mit insgesamt 1.300 Patien­ten länger als 24 Wochen gelaufen (maximale Laufzeit 12 Monate) und konnten daher für die Auswertung zu Grunde gelegt werden. Für Arz­neimitteln in der Langzeitanwen­dung – so das IQWIG – können the­rapeutischer Nutzen und Unbe­denklichkeit nur in Langzeitstudien ausreichend sicher beurteilt wer­den. Dabei geht es nicht um die zu erzielende Blutzuckersenkung (ein einfach zu belegender Surrogatpa­rameter!), sondern um patientenre­levante Parameter wie Verbesse­rung der Mortalität und der Morbi­dität (z. B. Hypoglykämien, diabeti­sche Spätkomplikationen, Lebens­qualität).

 

Im Ergebnis stellt das IQWiG fest: Es gibt derzeit keine wissenschaftli­chen Belege für eine Überlegenheit der Insulinanaloga gegenüber Hu­maninsulin. Daher sind die um 30 - 60 % höheren Therapiekosten nicht gerechtfertigt. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat sich den Be­richt des IQWiG zu eigen gemacht – mit ausdrücklicher Zustimmung der beteiligten Patientenvertreter. Das Bundesministerium für Gesundheit hat im Rahmen des Verfahrens nach SGB V diesen Beschluss bestätigt. Seit dem 1. Oktober 2006 dürfen kurzwirksame Insulinanaloga bei Typ-2-Diabetes bis auf wenige Aus­nahmen nur noch verordnet wer­den, wenn sie nicht teurer sind als Humaninsulin.

 

Die hier kurz zusammengefasste Entwicklung ist vor allem mit Blick auf die fachlich-politische Auseinan­dersetzung interessant, die zeitwei­se eher wie ein Gemetzel wirkte. Obwohl ein Zusatznutzen nicht be­legt ist und wahrscheinlich nur we­nige einzelne Patienten von den In­sulinanaloga profitieren, sind ver­mutlich ca. 200.000 Typ-2-Diabetiker darauf eingestellt worden. In enger Kooperation mit den Herstel­lern haben 150.000 Diabetiker mit ihrer Unterschrift die weitere Bezah­lung der Insulinanaloga gefordert.

 

Einige Kassen haben durch Rabatt­verträge mit Herstellern Preisab­schläge erwirkt, einige Kassenärztli­che Vereinigungen hingegen die Gültigkeit solcher Verträge bezwei­felt und dadurch Ärzte irritiert. Die Verunsicherung der Patienten war groß. Der einfachste Lösung aber ist nicht geboten worden, nämlich Absenkung der Preise auf das Ni­veau von Humaninsulinen.

 

 

Insulin inhaliert

 

Derzeit muss auch bezweifelt werden, ob das im Mai 2006 zugelassene inhalative Insulin Exubera eine bahnbrechend neue Therapieform des Dia­betes ist. Erstmals kann auf die bisher zwingend notwen­dige subkutane Injektion ver­zichtet werden – aber so richtig doch wieder nicht.

 

Exubera ist ein inhalierbares kurzwirksames Humaninsulin der Firma Pfizer, zugelassen für die Behandlung von Typ-2-Diabetes (und einge­schränkt Typ-1) von Erwach­senen, auch in Kombination mit injiziertem Verzögerungsinsulin.

 

Bei vorbestehenden Atemwegser­krankungen wie Asthma oder COPD, bei Rauchern und bei Kin­dern darf Exubera nicht angewen­det werden. Regelmäßige Lungen­funktionsprüfungen werden emp­fohlen. Als unerwünschte Wirkun­gen werden Husten und schwere Hypoglykämien beschrieben, im­munogene Schädigungen der Lun­ge sind nicht auszuschließen.

 

Nur 10 % des applizierten Insulins sind bioverfügbar – welche ökono­mische und ökologische Ver­schwendung! Die Zulassung von Exubera war auch in der Zulassungsbehörde E­MEA wegen der unklaren Langzeitsicherheit umstritten. Die Insulintherapie verteuert sich um das Fünffache.

 

Als Hauptargument für die neue Applikationsform wird die Spritzenphobie genannt, auf Grund derer viele Diabetiker angeblich Insulin ablehnen und sich so einer adäquaten Therapie entziehen – mit allen bekannten Folgen. Dieses Argument überzeugt nicht: viele Typ-2-Diabetiker werden zunächst auf ein langwirksames Insulin eingestellt und später auch auf kombinierte Insuline. Sie kommen also an der Injektion nicht vorbei. Viel schmerzhafter als die subkutane Injektion mit der feinen Nadel eines Pens ist die Gewinnung eines Bluttropfens für die Blutzuckermessung. Bei Anwendung von Exubera muss aber öfter gemessen werden wegen des erhöhten Risikos für schwerwiegende Hypoglykämien, wegen geringerer Therapieflexibilität und auch z. B. bei interkurrenten Infektionen.

Eine ausführliche Bewertung von Exubera ist im Arzneitelegramm 2006, Nr. 6 zu lesen.

 

Das IQWiG hat einen Kurzbericht über das inhalative Insulin erarbeitet. Auf der Basis des Berichts hat der Gemeinsamen Bundesausschusses im Oktober einen „Therapiehinweis” veröffentlicht, der – falls das BMG ihn bestätigt, Ende des Jahres als Anlage der für Ärzte und Kassen verbindlichen Arzneimittelrichtlinien Geltung erlangt. Ein solcher Therapiehinweis ist erfahrungsgemäß ein weiches Instrument, welches nicht besonders geeignet ist, gegenüber den Strategien der Hersteller in der Ärzteschaft eine kritische Haltung zu etablieren.

 

 

Fortschritte: für wen

 

Diabetes ist eine große Volkskrankheit mit einer enormem Zuwachsrate weltweit. Statt der heute 4 Millionen wird für 2010 in Deutschland mit 10 Millionen Diabetikern gerechnet.

 

Aus Sicht der Hersteller wäre es geradezu ein Jammer, wenn für die vielen Patienten keinerlei lukrative Patente auf diesem großen Markt genutzt werden könnten. Die Entwicklung patentierbarer Insulinmoleküle (Analoga) bzw. patentierbarer Zubereitungen zur Inhalation bietet Marktchancen, wenngleich nicht unbedingt zum Nutzen der Patienten.

 

Angesichts der immer wieder als unvermeidlich dargestellten Leistungskürzungen im Gesundheitswesen muss diskutiert werden, ob es ökonomisch und ethisch gerechtfertigt ist, die im Prinzip guten Versorgungsmöglichkeiten der Diabetiker durch immer neue Finessen so zu verteuern, dass dringend erforderliche Maßnahmen auf der Strecke bleiben müssen.

 

Denn die eigentliche Herausforderung besteht darin, die Entwicklung von Diabetes so weit wie irgend möglich zu vermeiden und dafür mittel- und langfristig in Bildung und Prävention zu investieren.

 


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TERMINE

 

07. Oktober, online

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VdPP-Vorstandssitzung 

 

04. November, online

Pharmacists for Future (Ph4F) 

 

 

25. November, online

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02. Dezember, online

Pharmacists for Future (Ph4F)

 

02. Dezember, online

VdPP-BPhD-Seminarreihe zu "Pharmazie und Planetary Health"

 

09. Dezember, online

VdPP-BPhD-Seminarreihe zu "Pharmazie und Planetary Health"

 

16. Dezember, online

VdPP-BPhD-Seminarreihe zu "Pharmazie und Planetary Health"