Vom Leitbild zum Perspektivpapier – viele Worte, heiße Luft?

Oktober 2014

 

Der diesjährige Apothekertag bildet das Ende des Leitbildprozesses (oder des Perspektivpapierprozesses), der die Fachöffentlichkeit  schon das ganze Jahr mehr oder weniger beschäftigt. Der VdPP hat in seiner Stellungnahme vom 13. März 2014 (erschienen in den Ausgaben 12 der Pharmazeutischen Zeitung und der Deutschen Apotheker Zeitung) seine wesentlichen Positionen dargelegt. Im Folgenden soll zum vorliegenden Entwurf des Perspektivpapiers, das auf dem diesjährigen Deutschen Apothekertag verabschiedet wird, aus der Sicht des VdPP Stellung genommen werden.

 

Zur Präambel

 

Bereits im ersten Absatz der Präambel zeigen sich nach Auffassung des VdPP wesentliche Schwächen.  Dort heißt es: „Die Apotheker in Deutschland sind die Experten für Arzneimittel“. Dieser Alleinvertretungsanspruch ist falsch. Auch andere Berufsgruppen können Experten für Arzneimittel sein, zudem wird hier eine Abgrenzung zu anderen Diskussionspartnern betrieben, die verhindern wird, dass sich andere Gesundheitsberufe oder Meinungsbildner im Gesundheitswesen mit der notwendigen Ernsthaftigkeit mit den Positionen der Apothekerschaft auseinandersetzen werden. „Die Apotheker in Deutschland sind Experten für Arzneimittel“ hingegen würde sowohl eine Offenheit zum Dialog mit anderen Akteuren im Gesundheitswesen als auch den wissenschaftlichen Anspruch an das eigene Tun signalisieren.

Auch der dritte Satz unterstreicht nochmals den glatten Fehleinstieg in das Perspektivpapier. Hier heißt es: „Als freie Heilberufler erfüllen sie über öffentliche, inhabergeführte Apotheken den gesetzlichen Auftrag zur flächendeckenden Arzneimittelversorgung der deutschen Bevölkerung.“  Die Begriffskombination des freien Heilberuflers zieht wiederum eine neue Grenze zu all denen, die die Privilegien der sogenannten Freien Berufe nicht haben, wie z. B. die Pflegeberufe oder andere nichtmedizinische Fächer. Noch problematischer ist der Hinweis auf die inhabergeführte Apotheke, der andere Formen der Berufsausübung in öffentlichen Apotheken ausblendet. Nach Ansicht des VdPP muss sich die Apotheke aber von ihrem öffentlichen Auftrag und von den Interessen der Patientinnen und Patienten her definieren und nicht über die Interessen der Inhaber. Dies ist notwendig, um bis 2030 den Apothekerberuf als Heilberuf im deutschen Gesundheitswesen zu sichern und ihn als wesentliches Element eines Netzwerkes zur Arzneimitteltherapiesicherheit auszubauen. Die gleiche falsche Gewichtung findet sich auch in den Punkten 24 (Seite 7) und 29 (Seite 7).

 

Im Mittelpunkt stehen Patientinnen und Patienten

 

Patienten werden in Zukunft hinsichtlich ihrer Entscheidungsfähigkeiten stärker gefordert werden. So steht es auf Seite 3, Punkt 7 sinngemäß. Hier wäre es wertvoll gewesen, sich an die Seite derer zu stellen, die sich im Interesse der Patientinnen und Patienten oder Verbraucherinnen und Verbraucher Informationen aufarbeiten und zur Verfügung stellen, wie z. B. das IQWiG, die Unabhängige Patientenberatung oder die Stiftung Warentest. Hier wären Brücken notwendig gewesen, wie man das Know-how dieser Einrichtungen mit dem Auftrag der Apotheken zu Information und Beratung des einzelnen Kunden/Patienten verbindet.

 

Widersprüchlich kann Punkt 17 (Seite 5) verstanden werden:  Apothekerinnen und Apotheker sollen dafür sorgen, dass der Patient oder die Patientin verschreibungspflichtige und nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel akzeptiert. Dies ist zumindest erklärungsbedürftig – klingt der Satz doch so, als ob es zur Akzeptanz und damit zur Einnahme der Medikamente nie eine Alternative gäbe.

 

In seiner Stellungnahme forderte der VdPP, die Interessen der Patienten und nicht die kaufmännischen Interessen in den Mittelpunkt der Arbeit zu stellen. Auch im Perspektivpapier steht der Patient in Punkt 8 (Seite 4) im Mittelpunkt. Doch schon in den Punkten 9 und 10 stellt sich wieder das alte Problem von Ethik und Monetik im Apothekenwesen. Das pharmazeutische Personal erfüllt seinen Auftrag unabhängig von den Interessen Dritter, heißt es da. Mitunter sind jedoch die eigenen kaufmännischen Interessen ein größeres Hindernis für die patientenorientierte Versorgung als die Interessen Dritter. Wie der Apotheker den Spagat zwischen heilberuflichen und kaufmännischen Interessen am besten bewältigen soll, findet sich dort jedoch nicht. Hier dreht sich die Apothekerschaft schon seit Jahrzehnten um sich selbst und sieht nicht, dass nur ein anderes Anreizsystem aus diesem Interessenkonflikt helfen kann. Auch in einer Erweiterung des Sortiments um Waren „mit Gesundheitsbezug“ zur Existenzsicherung einer Apotheke sieht der VdPP keine Zukunft. Vielmehr müssen alle Anstrengungen unternommen werden, den Versorgungsauftrag als alleinige Existenzgrundlage für die Apotheken weiterzuentwickeln.

 

Sehr erfreulich ist die Tatsache, dass im Perspektivpapier die „grundsätzlich evidenzbasierte Versorgung“ aufgenommen wird. Wie dies zu bewerkstelligen ist und wie die Apotheker dazu befähigt werden, davon ist jedoch nichts zu lesen. Der VdPP hatte in seiner Stellungnahme fundierte Informationen zu den wichtigsten Selbstmedikations-Arzneimitteln gefordert und bringt dazu einen Antrag auf dem Apothekertag ein. Wünsche und Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten hinsichtlich ihrer Therapie sind natürlich zu berücksichtigen, aber  die Ratsuchenden erwarten auch zu Recht, dass die Aussagen des pharmazeutischen  Personals auf gesichertem Wissen beruhen.

 

Punkt 12 (Seite 4) konzentriert sich auf die Vernetzung der Apotheke im heilberuflichen Netzwerk sowie in Netzwerken zur Prävention. Nach Ansicht des VdPP wären beim Thema Prävention im Sinne des weiter gefassten Public-Health-Begriffes neben einer Vernetzung im Gesundheitswesen auch die Vernetzung mit Institutionen des Sozialwesens notwendig, um die Vorteile der Niedrigschwelligkeit der Apotheken umfassender nutzen zu können. Zudem ist es notwendig, dass sich das Personal in Apotheken intensiv mit Public Health-Themen auseinandersetzt und erkennt, dass Gesundheit sehr viel mit (lokaler, regionaler, nationaler und internationaler) Politik zu tun hat und Apotheken vor Ort hier sehr gute Möglichkeiten haben, das Netzwerk lokale Gesundheit zu stärken. Die im Perspektivpapier genannten Vernetzungen reichen dafür nicht aus.

 

Wie eine Beteiligung an heilberuflichen Netzwerken aussehen soll, wird im Perspektivpapier nicht konkretisiert und muss auch mit den übrigen Heilberufen - insbesondere mit den Ärztevertretern - ausgehandelt werden. Wie schwer das ist, sieht man am holprigen Beginn des Projektes ARMIN in Thüringen und Sachsen. Auch der in der 21. Entschließung der NRW-Landesgesundheitskonferenz aus dem Jahre 2012 von Ärzte- und Apothekerschaft mitgetragene Auftrag, das jeweilige Rollenverständnis genauer herauszuarbeiten, harrt noch der Umsetzung.

 

Auf die Begriffe „Fortbildung“ und „Weiterbildung“ verzichtet das Perspektivpapier. Es findet sich nur der Hinweis, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr Fachwissen stets auf aktuellem Stand halten und sich das Personal in den öffentlichen Apotheken dem Wissenszuwachs durch Fortentwicklung von Wissenschaft und Technik anpassen muss. Wie dies erfolgen soll, bleibt offen – eine Verpflichtung zur Fortbildung wie bei den Ärzten, und wie es der VdPP fordert, gibt es nicht. Das Thema industriegesponserter Fortbildungen und der Umgang mit diesen an Industrieinteressen gebundene Informationen sowie der Wunsch nach mehr unabhängigen Fortbildungsangeboten finden sich im Perspektivpapier ebenfalls nicht wieder.

 

Die Apothekerschaft sollte nach Auffassung des VdPP ihre arzneimittelbezogenen Gestaltungsmöglichkeiten politisch nutzen. Diese Forderung findet sich im Perspektivpapier wieder: „Die Apotheker [...] nutzen die Chance, sich auf unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Ebenen an aktuellen, ihre Tätigkeitsfelder betreffenden Debatten zu beteiligen und wichtige Entwicklungen aktiv mitzugestalten und voranzutreiben.“ Angesichts der Ergebnisse einer Umfrage der Deutschen Apotheker Zeitung (DAZ 26.05.2014), wonach fast die Hälfte der befragten Apothekerinnen und Apotheker ihre Stimme bei der Europawahl 2014 der Partei AfD geben wollten, stellt sich aber die Frage, in welche Richtung die Apothekerschaft gestalten will. In dieser Hinsicht muss man schon hoffen, dass die so abstimmende Basis der Apothekerschaft nie die Mehrheit in den Gremien der ABDA bekommen möge.

 

Das Perspektivpapier der ABDA enthält positive Elemente, geht aber aus Sicht des VdPP nicht die notwendigen Schritte, um die Apothekerschaft in den nächsten Jahren als glaubwürdigen Partner im deutschen Gesundheitswesen zu positionieren. Insofern bleibt zu hoffen, dass die Anforderungen der Gesellschaft an das Apothekenwesen dafür sorgen werden, dass individuelles Patientenwohl, Gesundheit der Bevölkerung und Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung zum Maßstab der Weiterentwicklung des Apothekenwesens werden. Wenn die ABDA in diese Richtung konsequent steuern würde, bliebe für die Apotheke in der Zukunft eine reelle Chance, wenn nicht, drohen in nicht allzu ferner Zukunft weitere neoliberale Schläge gegen die Apotheke.

 

Udo Puteanus

 

 

Erschienen in Rundbrief Nr. 90

http://www.vdpp.de

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