Der kleine Unterschied. Geschlechterspezifische Erkenntnisse in Pharmazie und Medizin

Bericht vom VDPP-Frauenseminar 2009

April 2009

von Katja Lorenz

 

Nach jahrelanger Pause und Diskussionen, ob Seminare nur für Frauen zeitgemäß, notwendig oder Männer benachteiligend wären, fand am 25. April endlich wieder ein Frauenseminar des VDPP statt.

 

Der Veranstaltungsort in Berlin hätte passender nicht gewählt sein können. Das Café Seidenfaden, in der Nähe der Hackeschen Höfe, ist ein Projekt von FrauSuchtZukunft, des Vereins zur Hilfe suchtmittelabhängiger Frauen e. V.. Es ist nicht nur ein alkohol- und drogenfreies, sehr preiswertes Frauencafé, sondern auch ein Ausbildungs- und Arbeitsprojekt, das auch einen Catering-Service betreibt. Hier trafen sich 25 Frauen, die nur zum Teil Mitglied im VDPP sind. Dank breiter Werbung kamen unter anderem auch Ärztinnen, Patientenvertreterinnen, Gesundheitswissenschaftlerinnen und Studentinnen.

 

Zu o. g. Thema referierten die Apothekerin Dr. Ulrike Faber (Gründungsmitglied des VDPP), die Ärztin Prof. Dr. Gabriele Kaczmarczyk und die Gesundheitswissen-schaftlerin Prof. Dr. Birgit Babitsch.

 

Ulrike, die auch Patientenvertreterin im Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) ist, stellte Unterschiede im Arzneimittelkonsum, im Stoffwechsel, im Suchtverhalten der Geschlechter dar und belegte diese mit aktuellem Zahlenmaterial. Sehr verkürzt zusammengefasst heißt das: Frauen leiden eher an der Psyche, Männer eher an ihrem Körper. Die Arzneimittelsucht ist weiblich, die Alkoholsucht dagegen männlich. Als „Geschlechter-Paradox“ bezeichnete sie, dass Frauen sich kränker fühlen, aber länger leben als Männer. Sie verdeutlichte auch mit Beispielen aus der Werbung, wie lukrativ die Frauen mit ihren Bedürfnissen und Krankheiten bzw. zu Krankheiten erklärten Lebensphasen für die Pharmaindustrie sind. (Wobei die Industrie auch zunehmend für Männer neue, behandlungsbedürftige Zustände entdeckt!)

 

Gabriele Kaczmarczyk, die u. a. das postgraduale Master-Studium „Society and Health – International Gender Studies“ an der Charité entwickelt hat und nun leitet, stellte in ihrem Vortrag die medizinischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern sowohl im Krankheitsverlauf (Stichwort: Herzinfarkt) als auch in der ärztlichen Behandlung dar. Diese zeigte sie aber nicht nur auf, sondern appellierte in ihrem launig vorgetragenen Beitrag auch daran, dass die Frauen Verantwortung übernehmen müssten. In frauenheilkundlichen Organisationen beispielsweise sind die Vorstände überwiegend, manchmal zu 100 %, mit Männern besetzt. Eine mehr als absurde Situation!

 

Birgit Babitsch, vom „Center for Gender in Medicine“ an der Charité und Kollegin von Frau Kaczmarczyk im postgradualen Studiengang, stellte Studienergebnisse aus der geschlechtsspezifischen Versorgungsforschung vor. Diese ist in Deutschland noch eher Neuland; die USA und Großbritannien sind hier viel weiter. Untersucht werden Fragen wie: Gibt es Unterschiede (und wenn ja, welche) im Verschreibungsverhalten von Ärzten und Ärztinnen für Patienten oder Patientinnen? Treten Patient/Patientin im Behandlungszimmer anders auf, je nachdem, ob ihm/ihr Arzt oder Ärztin gegenüber sitzen? Wie beurteilen Arzt/Ärztin ihren Umgang mit Patient/Patientin?

 

Viel lässt sich aus den ersten Studien noch nicht verallgemeinern. Es gibt Unterschiede in der Kommunikation. Ärztinnen versuchen im Gespräch eher eine gemeinsame Ebene zu finden und nehmen sich im Durchschnitt zwei Minuten mehr Zeit (was auch wirtschaftliche Konsequenzen für sie hat). Ärzte bieten eher einen Informationsaustausch, sind konfliktfreudiger. PatientInnen reden bei Ärztinnen mehr und versuchen sich eher durchzusetzen als im Gespräch mit Ärzten.

 

Um das herausfinden zu können, wurden den ÄrztInnen Videos gezeigt, in denen PatientInnen ihre Beschwerden (nach vorgegebenem Drehbuch) schilderten. Im Anschluss sollten sie die Diagnose stellen und ihr weiteres Vorgehen darstellen. Ein festgestellter Unterschied bestand z. B. darin, dass Patienten eher an einen Facharzt überwiesen bzw. weitere diagnostische Verfahren angewendet werden würden als bei Patientinnen. Soweit die Fakten. Völlig offen, d. h. noch nicht untersucht, ist dabei allerdings, welches Vorgehen für die PatientInnen und das Gesundheitssystem hilfreicher wäre.

 

Auf Grund dieser Erfahrungen engagiert sich Frau Babitsch sehr für die feste Etablierung des Wahlpflichtfaches „Gender Medicine“ für Medizinstudierende der Charité, das bisher ganz überwiegend von Studentinnen belegt wird.

 

So ging ein informativer, kurzweiliger Tag in angenehmer Atmosphäre zu Ende.

Der Vorstand dankt Ulrike Faber, die das Seminar maßgeblich organisiert hat!

Erstmals hatten wir uns um die Akkreditierung eines VDPP-Seminars als Fortbildungsmaßnahme bei den Apotheker- und Ärztekammern in Berlin bemüht. So konnten die teilnehmenden Apothekerinnen und Ärztinnen sogar noch Punkte für ihr Fortbildungszertifikat sammeln. Wir meinen: dieser Umstand kann neben dem Wissenszuwachs jenseits der täglichen Berufspraxis, neben der Möglichkeit, engagierte Frauen auch anderer Gesundheitsprofessionen zu treffen und neue Lokalitäten/Projekte kennen zu lernen und dort lecker zu essen, doch auch eine weitere Motivation für die Teilnahme an einem Frauenseminar sein. Deshalb sind wir entschlossen, keine erneute Pause zuzulassen und im nächsten Jahr weiterzumachen. Christiane Hefendehl übernimmt die Sammlung von Themenwünschen.

http://www.vdpp.de

TERMINE

 

07. Oktober, online

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VdPP-Vorstandssitzung 

 

04. November, online

Pharmacists for Future (Ph4F) 

 

02. Dezember, online

Pharmacists for Future (Ph4F)