Herbstseminar des VDPP in Berlin
30. November 2007
Kann ökonomischer Wettbewerb die Qualität der Arzneimittelversorgung verbessern? Wenn der Wettbewerb im Gesundheitswesen und –versorgung kommt, dann mit allen positiven und negativen Seiten – dies ist ein Fazit aus dem VDPP-Herbstseminar in Berlin. Wettbewerb kann nicht nur auf Qualität beschränkt werden. Im fürsorglich behüteten deutschen Gesundheitssystem werden dann vielleicht ganz andere Anbieter auftreten, die Wettbewerb nicht auf der Versorgungs-, sondern nur auf der Preisebene sehen.
Das Herbstseminar des Vereins demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten fand dieses Jahr am 10. November in Berlin statt. Das Seminarthema „Wettbewerb – Ja und Amen?!“ hat am kalten Samstag viele Interessierte nach Mitte gelockt. Fragen wie „Kann ökonomischer Wettbewerb die Qualität der Arzneimittelversorgung verbessern?“, „Warum haben die USA, das Land mit dem stärksten Wettbewerb, das teuerste Gesundheitssystem?“ und „Ist das Solidarprinzip ein Auslaufmodell?“ brannten Referenten und Teilnehmern gleichermaßen unter den Nägeln und versprachen aufgrund des bunte gemischten Podiums eine kontroverse Diskussion.
Produktemedizin und Risikoselektion
Nach Sicht des Sozialmediziners Prof. Jens-Uwe Niehoff hat der Wettbewerb in der Gesundheitsversorgung in Deutschland 1992 mit einem "neuen Gesellschaftsvertrag" begonnen. Mit der Einführung des Risiko-Struktur-Ausgleichs entstanden, so Niehoff, die Voraussetzungen für eine Produktemedizin und eine Risikoselektion. Der unterschiedlichen Risikostruktur der einzelnen Krankenkassen begegnete der Staat von nun an nicht mehr mit Solidarität, dem Grundprinzip der GKV. Und mit dem GKV-WSG werde der Wettbewerb noch weiter forciert. Das geschaffene ökonomische Anreizsystem mit Wahltarifen und Zusatzbeiträgen könne, so der Mediziner, nur zu Lasten der Versorgungspolitik der Krankenkassen gehen. Die Transformation der GKV von der „solidarischen Verantwortung von Kapital und Arbeit“ in „Selbstverantwortung und Wettbewerb“ scheine nahezu perfekt –und wird dann kaum rückgängig gemacht werden können, so Niehoff, der in seinen Analysen immer wieder auf die Entwicklungen in den USA verwies.
Für Prof. Gerd Glaeske vom Zentrum für Arzneimittelversorgungsforschung in Bremen ist Wettbewerb in erster Linie ein Qualitäts-, Transparenz- und Patientensicherheitswettbewerb in dem der objektive Bedarf im Mittelpunkt steht. Die individuelle Therapie muss, so Glaeske, durch eine Leitlinien- und evidenzbasierte Therapie ersetzt werden. Die Unter-, Über- und Fehlversorgung im Gesundheitswesen gilt es auszuschalten, fordert der Apotheker, der seit Jahren im Sachverständigenrat die Gesundheitspolitik berät. Dafür sollen die nichtärztlichen Gesundheitsberufe stärker eingebunden werden und Kooperationen miteinander verbessert werden.
Lutz Tisch, Jurist, Geschäftsführer in der ABDA ging insbesondere auf die Situation der Apotheken ein. "Niedrige Preise senken nicht automatisch die Kosten", stellte er seinem Vortrag voran. Eine eigenständige Beratungsvergütung hält er für fragwürdig, da nicht jeder Patient, der in die Apotheke kommt, sich des Beratungsbedarfs bewusst ist und viele Probleme allein aus dem Gespräch augenscheinlich werden.
Dr. Stefan Etgeton vom Verbraucherzentrale-Bundesverband wertete das von Niehoff angeführte Jahr 1992 als positiv für die Verbraucher, da sie im veränderten Gesundheitssystem mehr Wahloptionen erhielten. Die Patienten wurden so für ihn endlich mündig. Prinzipiell sieht er die Pluralität u.a. in den Vertriebswegen und Betriebsformen der Apotheken positiv, da auch für ihn die Qualität und nicht der Preis entscheidend sein wird.
In der anschließenden Diskussion wurde intensiv nachgefragt und auch auf weitere Themen hingewiesen, wie z.B. die Veränderungen in der Arzneimittelversorgung in den Krankenhäusern.
Auf die von der Moderatorin Ulrike Faber zuletzt gestellte Frage, welche Rolle die Apotheke in 20 Jahren in der Arzneimittelversorgung spielen wird, antwortete Prof. Jens-Uwe Niehoff, dass „pharmaceutical benefit management“ die Linie der Apotheken sein müsse. Prof. Gerd Glaeske hält Apotheken für unverzichtbar, da es eine arbeitsteilige Medizin mit Arzneimittelfachleuten geben muss. Die Apotheke wird es dann noch geben, wenn Fehler wie die Zulassung des Versandhandels von Arzneimitteln konsequent korrigiert werden, so Lutz Tisch. Für Dr. Stefan Etgeton ist in 20 Jahren das rote Apotheken-A nicht mehr nur die einzige Apothekenmarke, sondern eine unter vielen anderen.
Jana Böhme
(VDPP-Vorstand)
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