Debatte um Impffplicht 

April 2015

 

Masernepidemie in Berlin und noch keine Ende der Masernwelle in Sicht. Die mediale Aufregung ist inzwischen weitgehend abgeflaut. Einige Fragen bleiben, auch die nach einer Zwangsimpfung.

 

Von Ulrike Faber

 

 

Die Fakten sind weitgehen bekannt, insbesondere unter Pharmazeutinnnen und Pharmazeuten, und können hier in Stichworten zusammengefasst werden:

 

Masern

▪ Hochansteckende, hoch fieberhafte schwere Virusinfektion

 Hohe Komplikationsrate (häufig Enzephalitis, Pneumonie, Otitis; selten subakute sklerosierende Panenzephalitis /SSPE, fast immer tödlich).

 Mortalität 1-3 pro 1000 Erkrankte, (aber in ärmeren Ländern bis zu 25%)

 Meldepflicht in der Deutschland seit 2001

 Masernimpfstoff seit den 60er Jahren

 Impfung seit 1974 empfohlen

 In der DDR seit 1970 Pflichtimpfung gegen Masern

 In Deutschland seit 1991 die 2-fache MMR Impfung empfohlen

 Risiken der MMR-Impfung: Enzephalitis 1:1 Mio.

 Ziel der WHO: Elimination der Masern bis 2010, um tausende von Todesfällen und schwerwiegenden Behinderungen durch Masern zu vermeiden

Ziel in Deutschland: Eliminierung bis 2010 bei einer Impfquote von mindestens 95 % mit zwei Masernimpfungen. Dafür müssten auch Lücken bei den Impfungen konsequent geschlossen werden. Die seit 2014 in Berlin grassierende Infektionswelle (über 1000 Infizierte) beruht auf einem unzureichenden Impfschutz. Nur bei einer hohen Impfquote können durch den erreichten „Herdenschutz“ Infektionsketten unterbrochen und die Masern weitgehend eingedämmt werden. Impflücken bestehen in Deutschland vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

 

Freiwilligkeit geht vor Pflicht

Freiwilligkeit garantiert das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und lässt jedem einzelnen sein eigenes Entscheidungsrecht – natürlich im Ernstfall zu Lasten der Bevölkerung, wenn gefährliche Impflücken bestehen. Verpflichtung zum Impfen dagegen bedeutet, den Anspruch der Bevölkerung auf Schutz vor Epidemien zu sichern und den Schutz der öffentlichen Gesundheit zu gewährleisten; sie ist aber auch eine Einschränkung der individuellen freien Selbstbestimmung. Eine Impfpflicht bedeutet eine Zwangsmaßnahme; sie sollte nur infrage kommen, wenn andere Strategien nicht zum Erfolg geführt haben und eine Bedrohung der öffentlichen Gesundheit festgestellt werden muss. Dafür sind im Infektionsschutzgesetz Möglichkeiten enthalten

Der Bundesgesundheitsminister tritt entschlossen auf: die Impfpflicht sei kein Tabu! Auch Prof. Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte, fordert die Impfpflicht.

 

Masern sind gefährlich. Masernimpfung ist wirksam

Im Sinne der evidenzbasierten Medizin muss zunächst gefragt werden, ob es Belege über Nutzen und Schaden der Impfung gibt. In epidemiologische Studien ist im langfristigen Verlauf belegt, dass durch die Impfung tausende von Todesfällen verhindert werden können, während schwerwiegende Impfschäden selten sind . Das zeigen nicht nur die Erfahrungen mit Impfungen und Erkrankungen weltweit, sondern auch ein aktueller Cochran-Review, der Studien über rund 15 Mio. Kinder ausgewertet hat. Insofern ist die Empfehlung der Schutzimpfung gut begründet, dringend erforderlich und überzeugend zu vermitteln.

Masern sind gefährlich. Masernimpfungen sind sehr wirksam, sie haben Risiken, aber ihr Nutzen überwiegt bei weitem und ohne jeden Zweifel.

Zur evidenzbasierten Medizin gehört im Weiteren die Einbeziehung der Patienten, um eine gemeinsame (Arzt/Patient)-Entscheidung über medizinische Maßnahmen zu treffen, hier also die Bereitschaft zur Impfung. Die informierte und freiwillige Patientenentscheidung ist ein sehr hohes Gut, das wir aus Patientensicht nicht infrage stellen sollten.

Wir sollten nicht davon ausgehen, dass alle Nicht-Geimpften bzw. die verantwortlichen Eltern fundamentale Impfgegner oder Ignoranten sind. Zu den Nicht-Geimpften gehören unzureichend informierte Menschen oder etwa Reisende, Flüchtlinge, Migranten. Impfgegner haben vor allem Angst vor nicht auszuschließenden Impfkomplikationen; sie möchten ihr gesundes Kind einem Risiko durch Impfung nicht aussetzen; allerdings verkennen sie dabei wichtige Zusammenhänge. Wir müssen also prüfen, welche Strategien geeignet und notwendig sind, die Lücken zu schließen.

 

Information und Aufklärung stehen an erster Stelle

Ein „aufsuchendes“ Informationsangebot muss insbesondere in Kitas und Schulen entschieden und kontinuierlich umgesetzt werden und vor allen Dingen mit Bedenken umgehen und aufklären. Die öffentlichen Gesundheitsdienste müssen immer wieder geeignete Impfkampagnen auflegen, proaktive Wege gehen und natürlich die Erfolge prüfen. Arztpraxen sollten zusammen mit Informationen Impf-Aktionen anbieten.

Nicht zuletzt die Profis im Gesundheitswesen sind gefordert: Arztpraxen, Hebammen, Apotheken u.a. sollten aktuelle wissenschaftlich gesicherten Informationen über Impfungen vermitteln, um Zweifel auszuräumen und Impflücken aufzuspüren. Sie könnten auch durch Berufsrecht dazu verpflichtet werden.

Hier sind auch das für die Zulassung zuständige Paul-Ehrlich-Institut und die STIKO in die Pflicht zu nehmen.

Das alles könnten Bestandteile einer langfristigen Impfstrategie sein. Mit solchem Vorgehen konnten z.B. in Finnland die Masern schon 1996 eliminiert werden.

In der Deutschen Apothekerzeitung (16/2015) wurde für die Impfpflicht argumentiert: Ein „Eingriff in persönliche Rechte und Freiheiten“ sei sie zwar, aber das kenne unsere Gesellschaft doch schon: Rauchverbot in Restaurants, Gurtpflicht im Auto, Helmpflicht für Motorradfahrer. Das sind wahrlich bemerkenswerte Vergleiche! Welches mögliche Risiko hat denn das Tragen eines Helms? Sollten wir uns dann nicht auch gleich für ein Verbot von häuslichem Fensterputzen, von Skifahren, Alkoholtrinken und anderem mehr stark machen? Und auch konsequent über die Umsetzungsmöglichkeiten nachdenken!?

Die Ungeimpften - sollen sie die Objekte von Zwangsmaßnahmen sein? Wer setzt den Impfzwang durch? In Arztpraxen nach dem Motto: Sie brauchen zwar ein Antibiotikum! Aber nur wenn sie sich erst gegen Masern impfen lassen oder Jetzt melde ich Sie bei der Aufsicht. Auch in der Apotheke gäbe es geeignete Druckmittel: Nicht gegen Masern geimpft? Ich schließe jetzt die Tür ab und rufe die Polizei.

Genug des Unsinns! Schon jetzt wird vielfach ein ausreichender Impfstatus gefordert, z.B. als Voraussetzung für Kita-Besuch oder berufliche Praxis.

Eine gutes Vertrauensverhältnis ist die Basis für die Arbeit mit Patienten und für die Patienten, in der Apotheke genau so wie bei Ärzten. Obrigkeitsstaatliche Maßnahmen machen das kaputt oder ersticken es im Keim. Sie kommen erst bei anders nicht zu bewältigender Gefährdung der Allgemeinheit infrage und wären dann vermutlich einfacher zu vermitteln. 

 

Wir brauchen vertrauensbildende Maßnahmen

Wenigstens ein weiterer Aspekt muss genannt werden: die Ständige Impfkommission (STIKO) hat nicht immer durch Unabhängigkeit und Transparenz geglänzt. Nicht für alle von der STIKO empfohlenen Impfungen lässt sich ein guter individualmedizinischer oder epidemiologischer Nutzen belegen (etwa Windpocken, Zecken) oder eine valide Nutzen-Risiko-Abwägung vornehmen (etwa die übereilige Empfehlungen zur HPV-Impfung oder viele Zweifel bei der Schweinegrippe-Impfung) - das waren nicht gerade vertrauensbildende Maßnahmen.

Von der Industrie ist zu verlangen, dass sie die Forschung zu den vielen offenen Fragen (etwa die „unspezifischen Immunverstärker“) vorantreibt , und ihre Anträge auf Zulassung von Impfstoffen mit validen Studiendaten ausstattet. Auch Arzneimittelskandale haben die öffentliche Wahrnehmung negativ geprägt. Skepsis ist durchaus angezeigt.

Eins ist klar: Personalmangel im Gesundheitswesen, Abbau des öffentlichen Gesundheitsdienstes, mangelhafte Versorgung von Flüchtlingen - auch in Sammelunterkünften - das sind nur ein paar Beispiele dafür, welche Probleme in politisches Handeln einbezogen werden müssen, wenn Impfziele erreicht werden sollen und bevor nach Impfpflichten gerufen wird. 

 

 

Erschienen im VdPP Rundbrief 92

http://www.vdpp.de

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