IQWiG (Institut für Qualität im Gesundheitswesen)

Das Pharmaduell: ein Lehrstück über Lobbyismus zu Lasten der Beitragszahler

von Ulrike Faber

 

„Er hat die Lizenz zum Töten” – das ist das Kaliber der Angriffe gegen das IQWiG und seinen Leiter Professor Sawicki.

 

Seit zwei Jahren haben wir in Deutschland ein wenig Anschluss an europäische Standards gefunden: Im Zuge des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG) im Jahre 2004 wurde das IQWiG (Institut für Qualität im Gesundheitswesen) gegründet. Vergleichbare Institutionen mit den Aufgaben der Kosten-Effektivitäts-Sicherung im Gesundheitswesen sind seit Ende der 80er Jahre in vielen Ländern etabliert. In England arbeitet seit 2000 NICE (National Institute for Health and Clinical excellence) und in Frankreich ebenso lange HAS (Haute Autorité de santé).

 

Das IQWiG war überfällig! In Deutschland haben wir bisher keine Positivliste (wie in den meisten europäischen Ländern), keine direkte Einflussnahme auf die Preise der Hersteller (wie auch in vielen Ländern), keinerlei wirksames Instrumentarium zu Begrenzung der Arzneimittelausgaben (wie in anderen Ländern). Neue Präparate können in Deutschland direkt nach ihrer Zulassung zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden (wie in anderen Ländern nicht!).

 

Die Folge: seit Jahren kräftige, oft zweistellige Ausgabenzuwächse bei Arzneimitteln, getrieben zu einem großen Teil durch patentgeschützte und teure Pseudoinnovationen ohne relevanten Zusatznutzen im Vergleich zu bewährten Präparaten. So werden Gelder der Solidargemeinschaft der Versicherten verschleudert. Diese Bewertung ist nicht gegen wirkliche Innovationen gerichtet, die es zum Glück auch gibt und die finanziert werden, denken wir etwa an die Behandlung von Multipler Sklerose, Enzymmangelkrankheiten oder Hepatitis C.

Viele Arzneimittel und andere therapeutische Maßnahmen sind Teil der Regelversorgung, ohne dass ihr patientenbezogener Nutzen belegt ist.

Dies sollte durch das neue Institut nun anders werden. Seine Aufgaben wurden im Gesetz festgelegt (§ 139 a SGB V):

 

  • Darstellung und Bewertung des aktuellen medizinischen Wissensstandes zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren bei ausgewählten Krankheiten
  • Ausarbeitungen zur Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung
  • Bewerten von medizinischen Leitlinien
  • Empfehlungen für Disease-Management-Programme
  • Nutzenbewertung von Arzneimitteln
  • Erstellen von allgemein verständlichen Bürgerinformationen „zur Qualität und Effizienz in der Gesundheitsversorgung”

 

Das Institut beruht auf einer Stiftung und wird von der Selbstverwaltung finanziert. Es sitzt in Köln. Arbeitsaufträge erteilen der Gemeinsame Bundesausschuss und das Bundesministerium für Gesundheit. Ausführliche und interessante Beschreibungen der Aufgaben, der Aufträge, der Stellungnahmen, der Arbeitsmethodik usw. finden wir unter www.iqwig.de. Durch die gerade diskutierte Gesundheitsreform soll das IQWiG zusätzlich mit Kostenbewertungen beauftragt werden.

 

Die Verfahrensabläufe im Institut sind klar geregelt. Der jeweilige Auftrag, ein Zeitplan, der Berichtsplan werden zuerst veröffentlicht. Danach wird ein Vorbericht erarbeitet, veröffentlicht und in einer fachöffentlichen Anhörung diskutiert. Dann erst wird der Abschlussbericht erstellt.

 

Die wissenschaftliche Methodik schließt die genaue Formulierung der Fragestellungen ein, die Darstellung der Suchstrategien für wissenschaftliche Studien, die Ein- und Ausschlusskriterien für die Heranziehung dieser Studien, Einbeziehung von Herstellerinformationen, statistische Methoden etc.
Die Methoden des IQWiG werden in einer breiten Fachöffentlichkeit, auch bei internatonalen Experten zur Diskussion gestellt, festgeschrieben und regelmäßig aktualisiert. Derzeit wird Version 2 des Methodenpapiers entwickelt.

Zwei IQWiG-Wissenschaftler sind in diesem Jahr für ihre Arbeit mit Preisen ausgezeichnet worden.

 

Ein Blick auf einige im IQWiG bearbeiteten Themen zeigt, welche Brisanz in der Arbeit des IQWiG liegt:


Nutzenbewertung:

  • Atorvastatin
  • Insulinanaloga
  • inhalatives Insulin
  • Cholinesterasehemmer bei Demenz
  • Ginkgo bei Demenz
  • antihypertensive Wirkstoffe der ersten Wahl
  • orale Antiidiabetika (Glitazone)

Es handelt sich durchweg um große Indikationsgebiete. Die evidenzbasierte Nutzenbewertung und Nutzen-Risikoabwägung wird für viele betroffene Patienten von hoher Relevanz und nicht zuletzt auch für die Ökonomie die Krankenkassen wichtig sein.

 

Insbesondere negative Ergebnisse der Bewertungen aber werden die Hersteller alarmieren.

 

Dass die Studienlage praktisch keine Überlegenheit für Atorvastatin belegen konnte und damit die Einbeziehung von Atorvastatin in die Festbetragsregelung wissenschaftlich bekräftigt wurde, hat für Pfizer millionenschwere Verluste gebracht.

Dass es keinen wissenschaftlichen Beleg für die Überlegenheit der kurzwirksamen Insulinanaloga gibt, wird auch diesen Herstellerfirmen schmerzliche Umsatzeinbrüche bescheren.

 

Es wird aber auch etwas ganz anderes deutlich, nämlich wie spärlich die wissenschaftliche Datenlage für einige therapeutische Standards wirklich ist.

Lange Jahre gab es die heile Welt der wunderbaren Innovationen, die in Wirklichkeit oft nur Scheininnovationen waren. Diese Fassade wird durch die Arbeitsergebnisse des Instituts nun angekratzt und in Frage gestellt. Den Pharmaherstellern wird die Deutungshoheit über die innovative Qualität und den Wert ihrer Arzneimittel streitig gemacht.

 

Es verwundert also nicht, dass das IQWiG schwersten Angriffen ausgesetzt ist. Ich selbst habe auf zwei Veranstaltungen erlebt, dass es nicht mehr um Gegenargumente und kritische Analysen ging (solche Diskussionskultur ist ja sehr anregend!). Das Niveau der Beiträge verkam zu ideologisch verbohrten Hetztiraden. Dieses Strickmuster ist bekannt. Das IQWiG wurde beschimpft als intransparent, innovationsfeindlich, inkompetent, verlogen, voreingenommen, nicht auf internationalem Standard, unqualifiziert usw. Es ist äußerst unangenehm, solcher Polemik ausgesetzt zu sein, ohne die Anwürfe im einzelnen nachvollziehen zu können. Was ich im Nachhinein prüfen konnte, hat sich nicht bestätigt.

 

Diese Veranstaltungen waren von der Industrie organisiert. Sie sind Teil einer Kampagne, deren Fortgang täglich in den medizinischen Zeitschriften zu genießen ist. Wissenschaftler werden so unter Druck gesetzt, dass sie sich nicht länger in der Lage sehen, für das IQWiG als Gutachter zu arbeiten. Der Chefarzt eines Krankenhauses erzählte mir, er erhalte täglich persönliche Aufforderungen, etwas gegen Sawicki und sein Institut zu schreiben.

 

Der VFA hat ein „Gegeninstitut” zum IQWiG gegründet.

 

Wie wird dieser Machtkampf ausgehen? Den Sieg im Kampf gegen die Positivliste hat die Industrie mehrfach und bis heute erfolgreich auf ihrem Konto verbucht. Sollte der Angriff auf die kritische Kompetenz des IQWiG Erfolg haben (wir stecken in einer gesundheitspolitischen Gemengelage, in der viel gekungelt wird), dann wäre das ein schwerer Rückschlag für alle, die an der Verbesserung und Finanzierbarkeit unseres Gesundheitswesens interessiert sind …

 

Der Stern titelte richtig: „Das Pharmaduell. Ein Lehrstück über Lobbyismus zulasten der Beitragszahler” (Stern, 25/2006)

 

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