Endlich Schluss mit Korruption im Gesundheitswesen?

April 2013

 

Bundesgesundheitsminister Bahr (FDP) will noch vor der Bundestagswahl einen Straftatbestand für Korruption im Gesundheitswesen in das Sozialgesetzbuch (SGB V) schreiben. Ob dieses Vorhaben ernst gemeint ist, muss bezweifelt werden. Ulrike Faber nahm für den VdPP an der  Anhörung, die am17. April vor dem Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages stattfand, teil. Ein Bericht.

Ins hellere Licht der Öffentlichkeit geraten ist dieses seit vielen Jahren beklagte Problem durch ein dubioses Gebaren des pharmazeutischen Unternehmers Ratiopharm und durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe vom März 2012. In dem dort anhängigen Revisionsverfahren ging es um eine zuvor wegen Bestechung verurteilte Pharmareferentin, die Kassenärzten Schecks über einen Gesamtbetrag von etwa 18.000 Euro übergeben hatte. Diesen Zahlungen hatte ein als „Verordnungsmanagement“ bezeichnetes Prämiensystem von Ratiopharm zugrunde gelegen. Es sah vor, dass Ärzte als Prämie für die Verordnung von Arzneimitteln von Ratiopharm      5 % des Herstellerabgabepreises erhalten sollten.

Die Entscheidung des BGH hat für Furore gesorgt: Niedergelassene Ärzte können – im Gegensatz zu angestellten Ärzten – ungestraft Bestechungsgelder von der Pharmaindustrie annehmen, weil nach geltendem Recht korruptives Verhalten im Gesundheitswesen kein Straftatbestand ist. Prof. Fischer, Richter am BGH, stellte fest: „Dies ist ein katastrophales und nicht vertretbares praktisches Ergebnis (...) Diese Lücken sind rechtspolitisch nicht legitimierbar. Sie privilegieren teilweise hochorganisiert funktionierende korruptive Systeme zu Lasten der Solidargemeinschaft und zum Schaden der Versicherten“ (zitiert nach Stellungnahme der GKV S. 4)1.

 

Ausschlaggebend für das Urteil war, dass freiberuflich tätige Ärzte in erster Linie nicht den Krankenkassen, sondern „dem personal geprägten Vertrauensverhältnis“ gegenüber den Patienten verpflichtet seien. Ärzteorganisationen waren begeistert; sie verstanden das Urteil als Stärkung des freien Arztberufs und verzichteten darauf, die fatale Bedeutung der Korruption für das Vertrauensverhältnis Arzt/PatientIn groß zu problematisieren.

 

Damit war als 2012 endlich Handlungsdruck entstanden, aber die Regierungskoalition ließ sich Zeit. Aktuell fordern Anträge der Oppositionsparteien den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung auf, gesetzlich gegen Korruption vorzugehen.

Die SPD will, sehr allgemein, Korruption generell unter Strafe stellen2.

Die Grünen stellen den Handlungsbedarf differenziert dar, fordern, auch nicht-ärztlichen Leistungserbringer eine gesetzliche Regelung einzubeziehen, beschreiben verschiedene Formen der Korruption (Bestechung, Bestechlichkeit), und machen Vorschläge zur Korruptionsprävention durch Meldepflichten und Transparenz3.

 

Die Linke fordert in einem ebenfalls differenzierten Antrag, dass korruptives Verhalten unter Strafe gestellt und in weniger schweren Fällen mit einer Geldbuße geahndet wird. Einzubeziehen seien nicht nur die Vorteilsnehmer, sondern auch  diejenigen, die bestechen bzw. Vorteile gewähren, zum Beispiel Mitarbeiter_innen der Pharma- und Medizinprodukte-Industrie4.

 

Korruption als Geschäftsmodell in einem ökonomisierten Gesundheitswesen?

 

Am 17. April fand vor dem Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages die Anhörung zu den Anträgen statt. Ein Gesetzentwurf der Regierungskoalition lag noch nicht vor. Der VdPP stand als einer von 40 Verbänden auf der Sachverständigenliste und nahm der Anhörung teil.

Einige der vielen eingebrachten Stellungnahmen (übrigens keine von der ABDA) stellen die Situation und den Handlungsbedarf besonders einprägsam dar.

 

Der Einzelsachverständige Prof. Kai-Detlef Bussmann schreibt: „Im Zuge der dynamisch wachsenden Ökonomisierung des gesamten Gesundheitssystems besteht die Gefahr, dass sich wie auch in der übrigen Wirtschaft Korruption zu einem typischen Geschäftsmodell entwickelt“. Im Umfeld wachsenden Wettbewerbsdrucks entwickle sich das Selbstbild von Ärzten in Richtung eines Gesundheitsunternehmers. Auch nicht-ärztliche Leistungserbringer, die Pharmaindustrie und auch die stationären Einrichtungen, insbesondere durch die Privatisierung der Krankenhäuser, seien Teil dieser Entwicklung. In einer empirischen Studie hat Bussmann belegt, dass  „Zuweisung gegen Entgelt“ gelebte Praxis ist. Das Unrechtsbewusstsein ist gering, das Wissen der Beteiligten über berufs- und sozialrechtliche Regelungen fehlt weitgehend. Und in der konkreten Situation wurden Kontrollen und Sanktionen durch berufsständische Verantwortliche nicht befürchtet. Der Befragung nichtärztlicher Leistungserbringer, u. a. bei Apotheken ergab, dass auch Apotheken den zuweisenden niedergelassenen Ärzten „Vergütungen“ gewähren (69 % der Befragten schätzten das mit häufig und gelegentlich)5.

In der Anhörung wurde mehrmals die Besorgnis geäußert, z. B. von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, es dürften keinesfalls die gewollten vielfältigen Kooperationen zur Organisierung der Versorgung unter den Generalverdacht korruptiven Verhaltens gestellt werden. Das ist einerseits richtig, zeigt aber auch auf, wie nahe Intransparenz und Geheimverträge in die Nähe von vermeintlicher oder tatsächlicher Korruption führen können.

Jörg Engelhard vom Landeskriminalamt Berlin betonte, mit Berufsrecht allein könnten Fälle von Korruption nicht aufgeklärt werden. Dafür müsse es Durchsuchungen von Praxen, Konten und E-Mails geben können: „Das Delikt blüht im Heimlichen.“

 

MEZIS weist auf das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten / nicht ärztlichen Leistungserbringern und Patienten hin. „Entscheidungen über Therapie und Diagnostik dürfen sich nur am Wohl der Patient_innen orientieren. Sie müssen sich an deren Bedarf ausrichten und ausschließlich aus medizinischen Gründen und unbeeinflusst von monetären Interessen der Ärzt_innen und nichtärztlichen Leistungserbringer_innen getroffen werden.“ Die vielfältigen Beeinflussungsaktivitäten der Pharmahersteller werden konkret benannt (etwa gesponserte Fortbildungen, Werbeaktivitäten von Pharmareferenten, überhöhte Vortragshonorare, Sponsoring von Selbsthilfegruppen...). MEZIS fordert u. a. Transparenz nach dem Vorbild des amerikanischen „Physician Payment Sunshine Act“, welcher Leistungserbringer, Hersteller von Arzneimitteln, Diagnostika, medizinischen Geräten, Medizinprodukten, Software sowie Hilfsmittelerbringer zur regelmäßigen öffentlichen Berichterstattung verpflichtet6.

 

Auch ver.di kritisiert, dass Korruption, Abrechnungsbetrug und Falschabrechnung zulasten einer guten Versorgung der Versicherten geht. Mitglieder der Krankenkassen müssten sicher sein, dass ihre Beiträge für eine hochwertige Versorgung eingesetzt werden7.

Transparency international8 schätzt den Schaden durch Korruption hierzulande auf 5 bis 17 Milliarden Euro (bei insgesamt 294 Mrd. Euro Gesundheitsausgaben 2011 lt. Stat. Bundesamt).

 

Korruption gehört als Straftatbestand ins Strafgesetzbuch

 

Ein Schwerpunkt der Anhörung war die Frage, wo die Strafbarkeit von Korruption geregelt werden soll: direkt im Strafgesetzbuch oder als „Ne-benstrafrecht“ im Berufs- und Sozialrecht.

 

Das Berufs- und Sozialrecht kann die erforderlichen Ermittlungs- und Sanktionsmöglichkeiten nicht gewährleisten und hat sich bisher als stumpfes Schwert erwiesen. Es würde nur im Rahmen der GKV gelten, den Bereich der Privatversicherungen aber außen vor lassen.

 

Die Verortung eines Straftatbestands im Strafgesetzbuch dagegen würde die Ermittlungsmaßnahmen sichern und würde für alle Bereiche des Gesundheitswesens gelten. Es wäre eine deutliche und politisch konsequente Botschaft in die Gesellschaft hinein, dass korruptives Verhalten, Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung, Bestechlichkeit und Bestechung aller Akteure im Gesundheitswesen als Kriminalität gewertet und nicht geduldet werden. So könnte auch erreicht werden, das Problembewusstsein zu erhöhen und das ethische Bewusstsein zu stärken, denn insgesamt muss natürlich weitgehend Vermeidung das Ziel sein.

 

Ein politisch-taktisches Manöver des Ministers

 

Nun hat der Bundesgesundheitsminister der schwarz-gelben Regierungskoalition eine gegen Korruption gedachte Regelung im gerade in der Beratung befindlichen Präventionsgesetz förmlich versteckt: Der § 70 SGB V mit der Überschrift „Qualität, Humanität und Wirtschaftlichkeit“ wird um das Wort „Zusammenarbeit“ (!) ergänzt und um einen dritten Abschnitt erweitert. Korruptives Geschehen wird verharmlosend mit den Begriffen „Entgelte und sonstige wirtschaftliche Vorteile“ beschrieben. Ein neuer § 307c regelt Strafvorschriften für die nur auf Antrag zu verfolgenden und nicht nur geringfügigen Taten. Die Regelung im Sozialgesetz und damit als Nebenstrafrecht und nur für den Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung geltend stößt auf mehrheitlich ablehnende Reaktionen: zahnloser Tiger, politisch-taktisches Manöver, unsichere Rechtsbegriffe9. Die Bekämpfung der Korruption könnte sogar geschwächt werden. Warum ausgerechnet der GKV-Spitzenverband diesen schlechten Wurf begrüßt, bleibt rätselhaft.

 

Die Hamburger SPD wird nun für die Sitzung Anfang Juni einen eigenen Gesetzesantrag „Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen“ in den Bundesrat einbringen10. Konkret soll ein neuer Straftatbestand ins Strafgesetzbuch eingeführt werden. Wer als Arzt beispielsweise ein bestimmtes Medikament verordnet und dafür vom Hersteller Geld erhält, soll mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden können. In besonders schweren Fällen soll es sogar bis zu fünf Jahre Haft geben. Es ist zu hoffen, dass damit zumindest der Vorschlag der schwarz-gelben Koalition zu Fall gebracht. Die öffentliche Diskussion muss also weitergehen, damit endlich eine wirksame Regelung gegen Korruption umgesetzt wird.

 

 

Dr. Ulrike Faber

 

 

Erschienen im VdPP Rundbrief Nr. 86

Erfahrungen mit Korruption in Apotheken

Vor der Anhörung zur Korruption im Gesundheitswesen hat der VdPP eine Umfrage bei Mitgliedern und Sympathisant_innen des VdPP durchgeführt und eine Reihe von konkret erlebten Korruptionsbeispielen zusammengetragen. Es handelt sich um die Spanne von zweifelhaftem Verhalten bis hin zu eindeutigen Gesetzesverstößen durch Betrug und Korruption.

Dabei geht es ganz sicher nicht um alle Apotheken, aber sicher auch nicht um zu vernachlässigende Marginalien. Wir halten die Beispiele für relevant, weil darin die Versorgung von Patienten durch fremde Interessen beeinflusst wird und weil das zu unsachgerechtem ökonomischen Verhalten etwa bei Beratung, Arzneimittelauswahl oder Vergütungsforderungen führen kann.

 

Im einzelnen:

 

Praxismiete: Zuschuss zur Miete oder zu Umbaukosten von Arztpraxen – Bedingung des Arztes, damit er sich nicht anderswo niederlässt. Es kann sich um hohe Beträge handeln. Praxismiete wird aus Privatvermögen der Apothekenbesitzer bezahlt oder als Betriebsausgabe abgesetzt.

 

Impfstoffe: Ärzte wollen beim Bezug von Impfstoffen am Gewinn beteiligt werden. Die Apotheke erhält den Auftrag unter dieser Bedingung. Es geht um große Posten bei Kinderärzten oder anderen, z. B. bei Grippeimpfstoffen. Hier werden Bestellungen auch durchaus an die meistbietende Apotheke vergeben.

 

Fingierte Kassenrezepte: Auf Patientennamen oder für Sprechstundenbedarf (höhere Summen!) ausgestellte Rezepte werden nicht oder nicht korrekt beliefert, sondern als Gutschein für privat benötigte OTCs oder die Freiwahl (Kinderkost, Kosmetika) verwendet.

 

Privatrezepte werden für die Vorlage bei der Versicherung falsch quittiert, wenn die Kunden statt der Verordnung anderes, z. B. apothekenübliche Waren, bevorzugen.

 

Geschenke, Zahlungen an Ärzt_innen ohne besondere Gegenleistung für ein „gutes Geschäftsklima“ sind üblich, wobei hier nicht der Blumenstrauß zum Geburtstag oder das Weihnachtsgesteck gemeint sind.

 

Kooperation mit Pflegediensten: Sie ist unbedingt nötig, darf aber nicht dazu genutzt werden, mit abgezweigten Patientenrezepten Wünsche von Pflegern aus der Freiwahl zu bedienen. Pflegedienste können durchaus wie eine Rezeptsammelstelle für Apotheken fungieren, welche Apotheken sich auch durch Zuwendungen warm halten wollen. Letztlich steht hier auch die rechtliche verbriefte freie Apothekenwahl zur Disposition.

 

Kooperation mit großem Patientenverband: Hier wurden Rezepte für eine Apotheke gesammelt. Im Gegenzug gab es einen Anteil des Gewinns an den Verband.

 

Empfehlungen in der Selbstmedikation: werden erheblich durch völlig intransparente ökonomische Anreize (irreführende Werbung, Rabatte, Schnäppchenangebote) beeinflusst. Das kann die Beratungstätigkeit in Apotheken diskreditieren.

 

Falschabrechnung bei Zytostatika: entsprechende Beispiele, wie durch intransparente Preise hohe Gewinne von Apotheken erzielt werden, und wie es funktioniert, waren Presseberichten zu entnehmen.

 

Intransparente Vergütungssysteme sind grundsätzlich ein guter Nährboden für Korruption.

 

http://www.vdpp.de

TERMINE

 

07. Oktober, online

Pharmacists for Future (Ph4F) 

 

18. November, online

VdPP-Vorstandssitzung 

 

04. November, online

Pharmacists for Future (Ph4F) 

 

02. Dezember, online

Pharmacists for Future (Ph4F)