Stellungnahme des VDPP zum Entwurf des Beitragssatzsicherungsgesetzes (BSSichG)

27. November 2002


Der Verein Demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VDPP) nimmt nicht nur zu einigen Problemen des BSSichG (ehemals Vorschaltgesetz) Stellung, sondern problematisiert einige grundlegende Fragestellungen für eine bevorstehende Reform des Gesundheitswesens.

 

Der VDPP ist über die Pläne des BSSichG für Einsparungen bei der Arzneimittelversorgung entsetzt. Die Schätzungen der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), dass die geplanten zusätzlichen den gesetzlichen Krankenkassen zu gewährenden Abschläge bzw. die Erhöhungen bestehender Abschläge für die durchschnittliche Apotheke zu Einkommensverlusten von ca. 50.000 Euro führen würden, sind von der Größenordnung her durchaus nicht übertrieben. Dies würde bedeuten, dass der “Sparbeitrag” je Apotheke mehr als das 25fache dessen betrüge, was man meint, Arztpraxen an ausbleibender Honorarerhöhung zumuten zu dürfen.

 

Diese Beträge werden kurzfristig zu massivem Personalabbau in deutschen Apotheken führen. Mittelfristig wird es auch zu einem Apotheken-Sterben kommen, das die wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung gefährdet, die derzeit noch mit hohem Engagement durchgeführt wird. Auch hier sind die Schätzungen der ABDA leider nicht unrealistisch, die von ca. 20.000 Entlassungen ausgehen. Dies wird zwangsläufig zu einer enorm verstärkten Belastung des verbleibenden Apothekenpersonals führen. Damit wird die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung in Deutschland gefährdet, vom Ausbleiben notwendiger Verbesserungen (Qualitätssicherung etc.) ganz zu schweigen.

 

Der VDPP hat sich in der Vergangenheit auch für solche Reformen der Arzneiversorgung ausgesprochen, die für die Apotheken mit Einnahmeverlusten entsprechend ihrem Wertschöpfungsanteil verbunden waren, z. B. für die Einführung einer Positivliste oder für die Einbeziehung auch von patentgeschützten Arzneimitteln in die Festbetragsregelung. Die jetzigen Sparpläne belasten die Apotheken aber in einem Ausmaß, das nicht mehr verkraftbar ist.

 

Es ist davon auszugehen, dass die Arzneimittelhersteller versuchen werden, ihren Sparanteil durch Mengenausweitungen und durch die Preisgestaltung bei Neueinführungen zu kompensieren. Der pharmazeutische Großhandel hat eine ausreichende Marktmacht, um seinen Sparanteil, der im übrigen mehr als das Doppelte seiner jährlichen Gewinne ausmacht, durch Rabattkürzungen auf die Apotheken abzuwälzen. Realistischerweise ist deshalb davon auszugehen, dass fast die gesamten tatsächlichen Einsparungen von den Apotheken getragen werden.

 

Der VDPP spricht sich deshalb dafür aus, auf die übereilte Einführung des BSSichG zu verzichten. Grundsätzlich lehnt der VDPP eine Beteiligung auch der Apotheken an notwendigen Einsparungen nicht ab, nur darf diese Beteiligung die Apotheken nicht in einem absolut überproportionalen Ausmaß belasten. Die Ausgabensteigerungen dieses Jahres (2002) im Arzneimittelbereich haben bei den Apotheken zu keinem Anstieg des Rohgewinns geführt, ihr Wertschöpfungsanteil ist durch die Erhöhung des Zwangsrabatts von 5 % auf 6 % relativ und in absoluten Zahlen bereits gesunken. Die Steigerung der Arzneimittelausgaben um 11 % im Jahre 2001 hatte 2001 bei den Apotheken zu einer Steigerung des Rohgewinns um 7 % geführt, dies ist ein Folge der degressiven Arzneimittelpreisverordnung.

 

Ein eventueller Sparbeitrag der Apotheken in dieser Höhe würde erreicht, wenn die Maßnahmen des BSSichG für Apotheken und pharmazeutischen Großhandel auf ca. 25 % des im Gesetzentwurf Vorgesehenen begrenzt würden. Dabei wären Lohnsteigerungen, Mieterhöhungen etc. nicht berücksichtigt, die Apotheken blieben deutlich überproportional an den Einsparungen beteiligt. Derartige Einsparungen bedürften einer zeitlichen Begrenzung auf höchstens ein Jahr, bis z. B. die Positivliste griffe, die die Apotheken ihrem Wertschöpfungsanteil entsprechend belastete.

 

Positivliste, aut-idem und Festbeträge

 

Die Positivliste ist lange überfällig. Sie gehört zu den ältesten Forderungen des VDPP. Die Positivliste ist zuerst eine Maßnahme zur Qualitätssicherung und -verbesserung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung. Einsparungen der Verordnungskosten dürfen erst in zweiter Linie Beachtung finden, da sonst diese wichtige Regelung als “Billigmedizin” diffamiert werden könnte.

 

Die Positivliste darf nicht in letzter Minute durch Lobbyistenaktivität verwässert werden, wie das bei der prinzipiell gut gemeinten Aut-idem-Regelung vorgeführt wurde. Dort wurde in letzter Minute das “untere Preisdrittel” eingeführt, und nun herrscht Chaos in der Umsetzung. Die ApothekerInnen können ihre Kompetenz im Umgang mit dem Arzneimittel nicht einbringen, die Generikahersteller ändern 14täglich die Preise um einige Cent, die Softwarefirmen bauen für die ÄrztInnen gleich das automatische Durchkreuzen der aut-idem-Erlaubnis ein. Eine Bereinigung der Lagerhaltung und wirtschaftliche Entlastung für die Apotheke war daher nicht möglich. Der Zwangsrabatt an die Krankenkassen war aber vorsorglich von 5 % auf 6% erhöht worden. Diese Erhöhung wird natürlich bleiben, selbst wenn kein Mensch mehr an das gescheiterte Experiment Aut-idem erinnert werden möchte.

 

Der VDPP setzt sich stattdessen für einen Ausbau der grundsätzlich bewährten Festbetragsregelung ein. Insbesondere soll diese auch (wieder) für patentgeschützte Pseudoinnovationen, die sog. Me-too-Arzneimittel, gelten.

 

Zwangsrabatte

 

Einige Worte zu den geplanten Erhöhungen der Zwangsrabatte. Die Apothekenpreisbildung funktioniert bekanntermaßen über eine Mischkalkulation. Dazu reguliert die Arzneimittelpreisverordnung die Preise. Verträge mit den Krankenkassen legen fest, wie viel diese den Apotheken erstatten müssen. Oft genug, z.B. bei Inhalationsgeräten, Inkontinenzprodukten, Anus-praeter-Artikeln oder Impfstoffen, kann die Apotheke froh sein, wenn sie den Einkaufspreis plus Mehrwehrsteuer erhält. Hohe Naturalrabatte bei Direkteinkäufen gehören in der Mehrheit der Vergangenheit an. Unter dem Strich gewähren die Apotheken den Krankenkassen mit 6 % bereits jetzt mehr Rabatt, als sie von Großhandel und Industrie erhalten.

 

Das geplante Eintreiben der Rabatte von Großhandelsseite und pharmazeutischer Industrie ist nicht Aufgabe der öffentlichen Apotheke. Die Apotheke stellt die Versorgung der Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen Arzneimitteln sicher, Verwaltungsaufgaben und Geldeintreiberei für die GKV sind nur gegen ein angemessenes Honorar durchzuführen.

 

Bei den vom pharmazeutischen Großhandel den Apotheken gewährten Rabatten handelt es sich nicht um anrüchige Surplusprofite, die die Apotheken zusätzlich zu dem ihnen eigentlich zukommenden Wertschöpfungsanteil erhielten, sie sind vielmehr seit Jahrzehnten von der AMPVO gewollter Bestandteil der - verglichen mit anderen Branchen nicht übertriebenen - Handelsspanne der Apotheken. Die jährlich veröffentlichten Statistiken über Umsätze und Erträge der Apotheken enthalten bereits diese Rabatte, sie sind im Resultat deutlich niedriger als der der GKV gewährte Zwangsrabatt. Die im BSSichG vorgesehenen Maßnahmen für den pharmazeutischen Großhandel würden sich auf diese Rabatte in drastischer Weise auswirken.

 

Abgesehen davon, dass alle vorgesehenen Rabatte auch auf der Wertschöpfungsstufe der Apotheken greifen, ist davon auszugehen, dass die Großhändler, die insgesamt jährlich Gewinne von weniger als der Hälfte der für sie vorgesehenen 600 Millionen Euro haben, ihren Sparanteil über Rabattkürzungen auf die Apotheken abwälzen werden. Bei bundesweit vier oder fünf marktbeherrschenden Großhändlern, regional sind dies oft nur zwei oder drei, ist es noch nicht einmal unwahrscheinlich, dass die Großhändler auch ihren Wertschöpfungsanteil am Sparanteil der Industrie auf die Apotheken abwälzen werden.

 

Mehrwertsteuersatz

 

Nun lenken die neuen Abschläge den Blick davon ab, das bislang der Finanzminister als Hauptprofiteur der Arzneimittelpreise wieder einmal ungeschoren davongekommen ist: In Deutschland wird noch der volle Mehrwertsteuersatz von 16 % auf Medikamente erhoben. Damit setzt sich Deutschland deutlich ab von anderen Staaten der EU, in denen ermäßigte Sätze gelten. Besonders unglaubwürdig wird die Argumentation der Bundesregierung natürlich dann, wenn die Regelungen in anderen EU-Staaten als Argumentationshilfe für die Einführung von derzeit in Deutschland verbotenen Versandapotheken genutzt werden, aber im Falle einer Reduzierung der Mehrwertsteuer ignoriert werden.

 

Nacht-, Feiertags- und Rezepturhonorare, Arzneimittelpreise

 

Eine kostendeckende Honorierung der Nachtdienst- und Feiertagsversorgung ist überfällig, auch hier hat eine Anpassung an EU-übliche Honorare zu erfolgen. Rezepturen sind dem Arbeits- und Zeitaufwand entsprechend zu honorieren, anderenfalls kann solch eine unwirtschaftliche Zusatzleistung in Zukunft nicht mehr erbracht werden.

 

Wenn Notdienste angemessen honoriert werden, wenn in der Rezeptur zumindest kostendeckende Zuschläge eingeführt werden, und wenn im unteren – häufig besonders beratungsintensiven - Preisbereich die Zuschläge angemessen erhöht würden, dann könnte man über Senkungen der Zuschläge bei hochpreisigen Arzneimitteln nachdenken. Dies würde ebenfalls zu einer nicht unerheblichen Entlastung der GKV führen.

 

Verbesserung der Einnahmesituation der GKV

 

Der VDPP lehnt es ab, die gesetzliche Krankenversicherung als “Verschiebebahnhof” für sachfremde öffentliche Ausgaben zu missbrauchen. Weiterhin setzt sich der VDPP für die Einbeziehung der gesamten Bevölkerung, also auch von Beamten und Selbständigen in die GKV ein.

 

Es gibt letztlich keine Kostenexplosion im Gesundheitswesen, wenn man seinen Anteil am Bruttosozialprodukt betrachtet, sondern vielmehr ein Zusammenschrumpfen der Lohnquote und damit eine anteilsmäßige Steigerung der nur auf sie bezogenen Krankenkassenausgaben. Deshalb ist eine Einbeziehung sämtlicher Einkünfte in die Krankenkassenfinanzierung zu fordern.

 

Einheitskrankenkasse

Unklar bleibt weiterhin die Notwendigkeit so vieler verschiedener Krankenkassen. Die Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist klar und eindeutig, ein “Wettbewerb” völlig überflüssig und kontraproduktiv. Einige der Verzerrungen, die durch diesen “Wettbewerb” entstehen, müssen derzeit mit großem Aufwand in Form von Kompensations- und Unterstützungszahlungen ausgeglichen werden. Dies ist pure Geldvernichtung, dieses Geld könnte sinnvoll genutzt werden. Unserer Meinung nach ist eine gesetzliche Krankenversicherung vollkommen ausreichend. Es würden dann eine Reihe von hochprofitablen und überflüssigen Posten in der Krankenkassenverwaltung wegfallen. Zur Kontrolle dieser Einheitskasse sind auf regionaler Ebene demokratisch gewählte Vertreterversammlungen, die sich ausschließlich aus den Versicherten rekrutieren, einzurichten. Als weitere Kontrollorgane sind Ombudsgremien zu installieren, die den Versicherten einen schnellen Schutz vor Übergriffen der Krankenkassenbürokratie gewähren.

 

Ärzte-Hopping und Chip-Karte

 

Auf der PatientInnenseite muss wieder zu den Regelungen zurückgekehrt werden, die noch vor 10 Jahren galten: ÄrztInnenwechsel im Quartal - mit den entstehenden Folgekosten (wie z.B. Arzthonorare und Mehrfachverordnungen und -untersuchungen) - dürfen nur in begründeten Ausnahmefällen erfolgen. Aus dem Alltag sind viele Fälle bekannt und können benannt werden, wo PatientInnen durch intensives Praxis-Hopping erhebliche und nicht zu rechtfertigende Mehrkosten verursachen.

 

Die Chipkarte ist mit Daten zu Praxisbesuchen, Diagnosen und Medikamenteneinnahmen zu vervollständigen, um die Sicherheit der PatientInnen zu erhöhen (Verringerung von Arzneimittelwechselwirkungen, Vermeidung von überflüssigen diagnostischen Maßnahmen). Selbstverständlich muss dies freiwillig erfolgen. Ebenso selbstverständlich muss die Zustimmung zur Speicherung eine relevante Reduzierung der Beiträge zur Folge haben.

 

Die Zeit für halbherzige Flickschustereien ist vorbei. Nach Meinung des VDPP müssen alle Seiten angemessen an einer grundlegenden Reform im Gesundheitswesen beteiligt werden und sich am Erhalt der solidarisch aufgebauten GKV beteiligen. Das betrifft auch und insbesondere den Staat (mit der Mehrwertsteuer und der Krankenversichung der Beamten). Es muss jetzt ernsthaft versucht werden, das Gesundheitssystem im Interesse aller Beteiligten zu reformieren.

Dr. Thomas Schulz
Jürgen Große
Bernd Rehberg
(für den Vorstand des VDPP)

 

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