Die Folgen der TRIPS-Ratifizierung für den Zugang zu Arzneimitteln in Indien und anderen Entwicklungsländern
März 2013
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das indische Gesundheitssystem
3. Der indische Arzneimittelmarkt
4. Die Preiskontrolle von Arzneimitteln in Indien
5. Das Patentgesetz von 1970 und das TRIPS-Abkommen
6. Fallbeispiele
7. Die Auswirkungen des TRIPS-Abkommens in Indien
8. Zusammenfassung und Ausblick
9. Literaturquellen
1. Einleitung
Zugang zu Arzneimitteln ist eine entscheidende Komponente in einem gut funktionierenden Gesundheitssystem. Es ist notwendig, dass sichere Arzneimittel von guter Qualität zugänglich, erhältlich und bezahlbar sind. Barrieren sind Probleme wie unzuverlässige Beschaffungssysteme, geringe Arzneimittel-Qualität, irrationale Verschreibungen, Abgabe und Gebrauch von Arzneimitteln, unbezahlbare Arzneimittel- Preise, unfaire Gesundheitsfinanzierungsmechanismen und unzulängliche Forschung in vernachlässigte Krankheiten. Der Aspekt von Arzneimittel-Produktpatenten als Hindernis für den Zugang zu Arzneimitteln soll in dieser Arbeit untersucht werden.
Da die Fragestellung nach den Folgen der TRIPS-Ratifizierung für den Zugang zu Arzneimitteln in Indien und anderen Entwicklungsländern sehr übergreifend ist, werde ich zuerst einen Überblick über das indische Gesundheitssystem geben. Dann gehe ich kurz auf den indischen Arzneimittelmarkt und dessen rechtlichen Rahmen ein. Nach der Erläuterung des TRIPS-Abkommens komme ich zur Doha-Erklärung, da durch sie die Public-Health-Aspekte von Arzneimittel-Patentschutz zum ersten Mal berücksichtigt wurden. Wie sich TRIPS-Abkommen und Doha-Erklärung auf die indische Patentgesetzgebung ausgewirkt hat, stelle ich im Anschluss an Beispielen indischer Rechtsprechung vor.
Die Frage nach weiteren Verhandlungen werde ich im Abschnitt 6 vorstellen. Am Ende meiner Arbeit fasse ich meine Erkenntnisse zusammen und zeichne Möglichkeiten für einen kostengünstigen Zugang zu Arzneimitteln in Indien auf. Die Gestaltung des Arzneimittel-Zugangs ist ein fortlaufender und mit dem TRIPS-Abkommen, der Doha-Erklärung und der eigenen indischen Gesetzgebung längst kein abgeschlossener Prozess. Wie die Akteure diesen Prozess weiter gestalten, ist ebenfalls Teil meiner Schlussbetrachtung.
2. Das indische Gesundheitssystem
Indien besitzt ein schlecht finanziertes Gesundheitssystem, welches nur einen begrenzten Gesundheitsdienst für die Bevölkerung bereithält und kaum reguliert ist. Gesundheit ist überwiegend eine private Angelegenheit.
Indien gibt ungefähr 4,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Gesundheit aus. Der Anteil des öffentlichen Aufwandes ist mit einem Prozent dürftig und liegt damit weit unter den meisten anderen Entwicklungsländern. Reiche Länder geben 9 bis 10 Prozent des BIP für Gesundheit aus. In den meisten Industrieländern wird das Gesundheitssystem entweder steuerfinanziert oder beruht auf einer (gesetzlichen) Krankenversicherung - Indien hat keines von beiden. Nur 5 Prozent der indischen Bevölkerung haben eine Krankenversicherung. Rund 71 Prozent bezahlen ihre gesamten Gesundheitskosten aus eigener Tasche. Die genannten 71 Prozent verteilen sich nicht gleichmäßig über das gesamte Indien. In ökonomisch wenig entwickelten Staaten wie Bihar oder Uttar Pradesh müssen noch mehr Kosten selbst übernommen werden, während es in Staaten mit einem gut entwickelten Gesundheitssystem wie Kerala oder Tamil Nadu weniger sind [Government of India, 2009a].
Gegenwärtig müssen InderInnen entweder auf medizinische Behandlungen verzichten oder sind gezwungen, einen Großteil ihrer für den gesamten Lebensunterhalt zur Verfügung stehenden Ressourcen für die Kosten der medizinischen Versorgung aufzuwenden. Nicht wenige Haushalte verschulden sich und verarmen aus diesen Grund. Schätzungsweise sind in den letzten Jahren ca. 39 Millionen InderInnen durch das Zahlen von Gesundheitskosten aus der eigenen Tasche unter die Armutsgrenze gerutscht [Selvaraj et al. 2009].
Der National Sample Survey (2004-05) geht davon aus, dass rund zwei Drittel der gesamten Gesundheitskosten, welche aus eigener Tasche bezahlt werden, für Arzneimittel ausgegeben werden. Sowohl die Bundes- als auch die Länder-Regierungen stellen nur ca. 10 Prozent ihrer Finanzierungen für die Beschaffung von Arzneimittel bereit [Selvaraj 2005].
Öffentliche Gesundheitszentren und Krankenhäuser leiden zudem unter Arzneimittel-Mangel [Betz 2002]. Die durchschnittliche Verfügbarkeit von wichtigen Arzneimitteln im öffentlichen Sektor beträgt 30 Prozent in Chennai und zum Vergleich 0 Prozent in West-Bengal [Cammeron et al 2008]. Öffentliche Einrichtungen sind im Vergleich zu privaten öfter von Nichtverfügbarkeit essentieller Arzneimitteln betroffen (17 Prozent vs. 3 Prozent der Tage) [[Lalvani et al 2003]. Bihar registrierte die Nichtverfügbarkeit von 42 Prozent der Arzneimittel über 105 Tage innerhalb von 6 Monaten im Vergleich zu 17 Prozent über 50 Tagen im gleichem Zeitraum in Tamil Nadu [Selvaraj et al 2010]. Aus diesen Gründen werden öffentliche Gesundheitseinrichtungen von ärmeren Bevölkerungsschichten gemieden, obwohl sie diese aus finanziellen Gründen am dringendsten nötig hätten [Betz 2002].
Private Gesundheitsdienste und deren Finanzierung sind mit ca. 80 Prozent der Gesamtausgaben im Gesundheitssystem unverhältnismäßig hoch [Betz 2002]. Hinterfragt werden muss ebenfalls die praktisch nicht stattfindende Überwachung des privaten Sektors. Vergeblich sucht man nach Transparenz hinsichtlich der Behandlungsmethoden und -kosten [Betz 2002]. Die übermäßige oft auf spezifische Originale ausgestellten Arzneimittel-Verschreibungen, lassen eine Beeinflussung der Ärzte durch die Pharma-Industrie befürchten [Betz 2002].
3. Der indische Arzneimittelmarkt
Angetrieben vom wachsenden Bedarf, hat sich die Produktion von Arzneimitteln über die Jahre drastisch erhöht: Indien rangiert global auf dem 3. Platz bezüglich des Produktionsvolumens und auf dem 14. Platz bezüglich des Produktionswertes. Dies entspricht etwa 10 Prozent des globalen Produktionsvolumens und 1,5 Prozent des globalen Produktionswertes. Interessanterweise rangiert die indische Pharmaindustrie auf Platz 4 der Generika-Produktion und auf Platz 17 des Exportes von Arzneistoffen und Dosis-Formulierungen. Die Gesamtgröße wurde 2008/2009 auf 89.000 Crore Rupien (18 Milliarden US-Dollar) geschätzt, wovon etwa 50.000 bis 55.000 Crore Rupien auf den heimischen Markt entfallen [Government of India 2009b].
Die Wachstumsrate der indischen Pharmaindustrie wird auf 12 Prozent geschätzt. Das Verkaufswachstum betrug zwischen 1994/1995 und 2008/2009 8 Prozent [Mahal, A. et al. (Editors) 2010].
Ungefähr zwei Drittel des indischen Arzneimittel-Exports gehen in Entwicklungsländer. Fast die Hälfte essentieller Arzneimittel, welche über UNICEF verteilt werden, kommen aus Indien und ungefähr 75 bis 80 Prozent aller über International Dispensary Association (IDA) verteilten Arzneimittel werden in Indien produziert. Ca. 80 Prozent der von Ärzte ohne Grenzen gekauften HIV-Arzneimittel, stammen aus Indien und werden auf über 30 Länder verteilt [Mahal, A. et al. (Editors) 2010].
Eine Erfolgsgeschichte ist der Einstieg der indischen Pharmaindustrie in die Produktion von HIV-Arzneimittel 2001. Die Preise begannen für die Behandlung drastisch zu fallen. Vor 2001 kostete eine Behandlung mit first-line HIV-Arzneimitteln 10.439 US-Dollar - danach nur noch 350 US-Dollar. Derzeit kostet die Therapie 99 US-Dollar pro Patient/Jahr und damit 140-fach weniger als vor 2001 [Mahal, A. et al. (Editors) 2010].
4. Die Preiskontrolle von Arzneimitteln in Indien
Paradox ist, dass Indien über eine eigene ausreichende Arzneimittelproduktion mit hohem Export verfügt, aber die Gesamtbevölkerung keinen Zugang zu Arzneimitteln in ausreichender Höhe, geeigneter Dosierung und bezahlbaren Preisen hat.
Die Arzneimittelpreise wurden ab den 1970er Jahren staatlich reguliert. 1979 kamen 347 Arzneistoffe unter Preiskontrolle. 1987 waren es noch 166.1995 wurde die Drug Price Control Order (DPCO) auf 74 auf ein Minimum reduziert [Mahal, A. et al. (Editors) 2010]. Heute sind nur noch ein Zehntel der Arzneimittel auf dem Markt unter Preiskontrolle der National Pharmaceutical Pricing Authority (NPPA), während es in den späten 1970er Jahren nahezu 90 Prozent waren. Folglich verteuerten sich die Arzneimittel exorbitant während 1993/1994 und 2003/2004 im Vergleich zur allgemeinen Preisentwicklung [Mahal, A. et al. (Editors) 2010].
5. Das Patentgesetz von 1970 und das TRIPS-Abkommen
Das indische Patentgesetz von 1970 hat eine starke eigene Arzneimittelproduktion mit niedrigen Preisen hervorgebracht. Durch das Gesetz waren Arzneimittel auch für andere Entwicklungsländer kostengünstig. Das Kernstück des Gesetzes erlaubte für Arzneimittel nur Prozess-Patente, limitierte diese auf 5 bis 7 Jahre und kannte keine Produkt-Patente. Dass die Arzneimittelpreise im Vergleich zu den 1950er und 1960er Jahren stark gefallen waren, ist Verdienst des Prozess-Patent-Regimes von 1970. 1991 versorgte die einheimische Pharmaindustrie ihr Land mit 70 Prozent der Arzneistoffe und 80 Prozent der Arzneimittel [Löfgren, H. et al 2006].
Trade Related Intellectual Property Rights (TRIPS) nahm seinen Ausgangspunkt in den 1980er Jahren im US-Pharmakonzern Pfizer. Mit der von Pfizer initiierten Gründung des Intellectual Property Committees (IPC) wurde die Durchsetzung von geistigen Eigentumsrechten von der US-Handelspolitik priorisiert. Das TRIPS-Abkommen wurde 1995 von der WTO abgeschlossen und muss von allen WTO-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Nichtratifizierungen werden mit Handelssanktionen geahndet.
Indien und andere Entwicklungsländer wurden verpflichtet ihr nationales Patentrecht an die in TRIPS weltweit vereinheitlichten geistigen Eigentumsrechte innerhalb von 10 Jahren anzupassen. Die Einführung in Indien erfolgte 2005 und veränderte die Patentrecht-Gesetzgebung grundlegend: das Prozess-Patentrecht von 1970 musste durch das Produkt-Patentrecht aufgegeben werden [Löfgren, H. et al 2006]. 2001 wurde auf Druck der internationalen Öffentlichkeit und der Besorgnis von Entwicklungs- und Schwellenländern die Doha-Erklärung verabschiedet. Um die öffentliche Gesundheit eines Staates sicherzustellen, lässt die Doha-Erklärung sogenannte TRIPS-Flexibilitäten, wie Zwangslizenzen auf patentierte Arzneimittel zu. Zwangslizenzen können Regierungen ohne Zustimmung des Patentinhabers auferlegen. Sie haben damit die Möglichkeit, ein unter Patent stehendes Arzneimittel legal generisch produzieren oder importieren zu lassen, vielfach für einen Preis weit unter dem des Patentinhabers [Park, C. et al 2009].
Der indische Gesetzgeber hat die Möglichkeit der Zwangslizenz-Vergabe in das neue Patentgesetz von 2005 verankert. Abschnitt 3 des Gesetzes listet z. B. auf, wann insbesondere im pharmazeutischen Bereich Patente auf Erfindungen ausgeschlossen sind. Darunter fallen z. B. natürliche Substanzen, neue Indikation bekannter Substanzen und neue pharmazeutische Formulierungen bekannter Substanzen, es sei denn, ihre Wirksamkeit ist immens erhöht. Abschnitt 3 entschärft TRIPS in der Weise, indem abgeleitete Patente auf bekannte Arzneistoffe nicht anerkannt werden und damit das sogenannte ‚evergreening‘ stark eingeschränkt wird. ‚Evergreening‘ ist ein von der Pharma-Industrie häufig angewendetes Verfahren, um Arzneimittel länger unter Monopol zu halten. [Park, C. et al 2009].
Das neue Patentgesetz ermöglichst BürgerInnen, Firmen oder juristischen Personen grundsätzlich Einsprüche gegen Patente vor und nach deren Gewährung. Damit wurde für die Zivilgesellschaft die Möglichkeit geschaffen, sich am Patentverfahren zu beteiligen. Dieser Passus ist von großer Bedeutung für die öffentliche Gesundheit und den Zugang zu Arzneimitteln. In der Tat hat der oberste Gerichtshof Indiens seit 2005 schon einige Patentrechts-Entscheidungen im Sinne der öffentlichen Gesundheit entschieden. Gleichzeitig zeigen die folgenden Fälle auf, dass Gerichtsverfahren nur begrenzte Möglichkeiten für das Ziel, Zugang zu Arzneimittel für alle, haben [Park, C. et al 2009].
6. Fallbeispiele
2006 wurde im Präzedenzfall der Patentantrag auf Imatinib Mesylat, einem Arzneistoff gegen chronische myeloische Leukämie, von Novartis mit dem Verweis auf o. g. Abschnitt 3 vom Patentamt abgelehnt. Damit konnte die Behandlung mit dem Generikum für 200 US-Dollar pro Patient/Monat im Vergleich zum Original für 2600 US-Dollar pro Patient/Monat fortgesetzt werden ['t Hoen, E. 2009]. The Cancer Patients Aid Association (CPAA) und verschiedene indische Pharmafirmen hatten Einspruch gegen den Patentantrag erhoben. Der Antrag von Novartis würde sich nicht auf den Arzneistoff Imatinib als solches, sondern auf Imatinib Mesylat, ein Salz des bekannten aktiven Arzneistoffes beziehen und somit unter den Abschnitt 3 des Patentgesetzes fallen, so der Tenor des Einspruches (es gibt kein Patent auf Imatinib in Indien). Es war keine Überraschung, dass Novartis das Madras High Court anrief und gegen die Entscheidung klagte. Novartis klagte jedoch nicht nur gegen die Entscheidung, sondern auch gegen den Abschnitt 3 des indischen Patentgesetzes. Der Abschnitt sei unvereinbar mit dem TRIPS-Abkommen; die indische Verfassung verletze damit das TRIPS-Abkommen. Das Madras High Court lehnte die Novartis-Klage in allen Punkten mit der Begründung ab. Mit Abschnitt 3 des Patentgesetzes soll der Zugang aller InderInnen zu lebensrettenden Arzneimitteln sichergestellt werden. Damit hatte zum ersten Mal ein indisches Gericht das Patentrecht zugunsten der öffentlichen Gesundheit ausgelegt [Park, C. et al 2009].
Der zweite Fall betrifft die Klage von Roche gegen Cipla. Roche bezichtigte Cipla gegen sein Patent auf Erlotinib, einem Arzneistoff gegen Lungenkrebs, verstoßen zu haben. Roche beantragte eine einstweilige Verfügung gegen die Vermarktung der generischen Erlotinib-Version von Cipla beim Delhi High Court. Cipla formulierte eine Gegenklage, indem es erklärte, dass das Patent in Indien ungültig ist. Auch das Delhi High Court wies die Klage von Roche im Sinne des öffentlichen Interesses und des Rechtes auf Leben ab [Park, C. et al 2009].
Im Fall Indian Network for People living with HIV/AIDS gegen Boehringer Ingelheim lehnte das Delhi High Court den Patentantrag auf die pädiatrische Formulierung von Nevirapin (einem essentiellen first-line HIV-Arzneistoff) mit dem Verweis auf das o. g. Madras High Court-Urteil ab [Park, C. et al 2009].
Das erste Produktpatent, das das indische Patentgesetz anerkannte, wurde für pegyliertes Interferon alfa-2a von Roche 2006 vergeben ['t Hoen, E. 2009]. Eine 180-µg-Spritze mit pegyliertem Interferon alfa-2a für die Behandlung von Hepatitis C kostet rund 18.200 indische Rupien (entspricht rund 390 US-Dollar) [Mahal, A. et al. (Editors) 2010].
7. Die Auswirkungen des TRIPS-Abkommens in Indien
Die indische Pharma-Industrie befindet sich in einem grundlegenden Wandel durch TRIPS. Mit dem Produkt-Patentgesetz auf neue Arzneimittel bleiben nur zwei Optionen. Global orientiert, könnte sie der verlängerte und ausgelagerte Generika-produzierende Arm multinationaler Konzerne werden, welcher Produkt-Patente auf Arzneimittel akzeptiert. Ein anderer Weg wäre die Ausrichtung auf den schrumpfenden heimischen und Entwicklungsländer-Arzneimittel-Markt, welcher keine Produkt-Patent-Barrieren kennt. Mit Sorge beobachten die auf indische Generika angewiesenen Entwicklungsländer den Fortgang der TRIPS-Implementierung ['t Hoen, E. 2009].
Das in der Doha-Erklärung offen gebliebene Thema des Exports von unter Zwangslizenzen hergestellten Arzneimitteln in Länder, welche keine eigene Arzneimittelproduktion besitzen, wurde 2003 gelöst. Es hatte 2 Jahre gedauert, bis Exporte unter Zwangslizenzen von der WTO verabschiedeten Entscheidung vom 30. August zugelassen wurden ['t Hoen, E. 2009].
Die zukünftige Versorgung mit indischen Generika ist ungewiss. Im Prinzip kann Indien seiner Pharma-Industrie mit Bezug auf die WTO-Entscheidung vom 30. August erlauben, patentierte Arzneimittel generisch herzustellen und zu exportieren. Die praktische Umsetzung ist jedoch kompliziert: die Autorisierung ist nur von Arzneimittel zu Arzneimittel und auch nur auf Antrag eines Staates ohne Arzneimittelproduktion möglich. Es ist relativ unwahrscheinlich, dass diese Vorgehensweise einen ganzen Industriezweig am Leben erhält. Es wird für sie lukrativer sein, nicht unter Patent stehende Arzneimittel in Industrieländer zu exportieren ['t Hoen, E. 2009].
Die volle Nutzung der Doha-Erklärung wird allerdings mit politischem Druck neuerdings durch TRIPS-plus-Verträge in bilateralen Freihandelsabkommen verhindert ['t Hoen, E. 2009].
TRIPS-plus-Verträge enthalten neben Verwertungsmechanismen des geistigen Eigentums, auch solche wie die Patentierbarkeit von Genen, traditionellem Wissen, Biodiversität und Daten-Exklusivität. Die Möglichkeit der Einräumung von Zwangslizenzen wird in diesen Verträgen so gering wir möglich gehalten [Löfgren, H. et al 2006].
Die Daten-Exklusivität ist im Hinblick auf den Arzneimittel-Zugang von Bedeutung und spielt aktuell in den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien eine große Rolle. Würde diese von TRIPS nicht geforderte Regelung aufgenommen, so verlängert sich das Arzneimittel-Patentrecht um ein vielfaches und die Generika-Produktion gerät noch länger ins Stocken oder wird zum Teil ganz verhindert [Löfgren, H. et al 2006]. Die US-Regierung und multinationale Pharmakonzerne argumentieren, dass Artikel 39.3 des TRIPS-Abkommens es erfordert, dass Indien ein System für Daten-Exklusivität implementieren muss. Obwohl die indische Regierung erkannt hat, dass Daten-Exklusivität von TRIPS nicht gefordert ist, will sie dies übernehmen. Im Mai 2007 wurde vom Indian Goverment's interministerial committee ein Bericht vorgelegt, welcher nach einer Übergangszeit unbestimmter Dauer ein System der Daten-Exklusivität für fünf Jahre empfiehlt [Park, C. et al 2009 .
8. Zusammenfassung und Ausblick
Ein gut funktionierendes Gesundheitssystem sollte essentielle Arzneimittel verfügbar und bezahlbar machen, indem es die Arzneimittelpreispolitik daran anpasst. Die indische Arzneimittelpreispolitik wurde über die Jahre schrittweise ausgehöhlt. Die ursprüngliche effektive Arzneimittel-Preiskontrolle wurde zugunsten von Verkaufsumsatz, Marktmonopolen und -wettbewerb im Wesentlichen aufgegeben.
In seiner derzeitigen Form ist das DPCO unwirksam und unzureichend. Die derzeitige Praxis, Monopol und Marktdominanz als Maß für Preiskontrolle zu benutzen, muss sich wieder am Bedarf von Arzneimitteln orientieren. Dies würde die Umgehung der Preiskontrolle durch die Industrie verhindern. Direkte Preiskontrolle sollte für Arzneistoff-Formulierungen und nicht für Arzneistoff-Bulkware eingesetzt werden. Weiterhin muss sie wieder für alle in der WHO Model List of Essential Medicines aufgeführten essentiellen Arzneimittel gelten [Mahal, A. et al. (Editors) 2010].
Zudem sind in Indien wesentliche Regulierungen über mehrere Ministerien geteilt, woraus eine unwirksame Kontrolle resultiert. Die strukturelle Besonderheit der indischen Verwaltung ist die Zuständigkeit des Department of Pharmaceuticals (Ministry of Chemicals and Fertilisers) für die Preiskontrolle und Qualität (GMP-Einhaltung) von Arzneimitteln - dagegen ist für die Arzneimittel-Zulassung das CDSCO (Ministry of Health and Family Welfare) zuständig. Ziel sollte die Zusammenführung der geteilten Aufgaben unter einer Behörde, des Ministry of Health and Familiy Welfare, sein [Mahal, A. et al. (Editors) 2010]. Beschaffungsprobleme von Arzneimitteln und die Koordination mit den Unionsstaaten könnten so besser sichergestellt werden.
Die Doha-Erklärung ist das wichtigste Dokument in Bezug auf Patente und Arzneimittel. Sie stellt den Ausgangspunkt für Schutzklauseln zum Wohle der Gesundheit aller und gegen die Profitinteressen der Industrie dar. Indien hat die Möglichkeiten der Doha-Erklärung genutzt und ein fortschrittliches Patentgesetz auf den Weg gebracht. Das Potential der ersten Erfolge der Rechtsprechung für Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbaren Arzneimitteln ist von großer Bedeutung. Dies ist vor allem den strengen Richtlinien des Gesetzes für die Patentierbarkeit von Arzneimitteln zu verdanken, aber ohne den Einsatz der Zivilgesellschaft nicht denkbar gewesen. Die routinemäßige Anwendung des Patentgesetzes für die Beschaffung von Arzneimitteln muss sich jedoch erst zeigen. Indische Gerichte können nicht die Kriterien für die Patentierbarkeit festlegen. Die indische Regierung muss den Patentämtern Basiskriterien in Form von klaren Leitlinien zur Verfügung stellen, um die öffentliche Gesundheit weiter schützen zu können [Correa 2002].
Die Sorge um die Auswirkungen der TRIPS-Ratifizierung auf die öffentliche Gesundheit in Indien bleibt trotz der ersten Erfolge weiterhin bestehen und wird sich erst in den nächsten Jahren vollkommen zeigen. Der Preis für das erste o. g. anerkannte Produktpatent ist hoch. Wenn die indische Regierung keine weiteren Maßnahmen ergreift, werden für InderInnen neue patentierte Arzneimittel bis zu 200 Prozent mehr kosten [MSF 2005]. Ohne ein staatliches soziales Sicherungssystem werden sich die meisten Menschen neue Arzneimittel nicht leisten können [Jadonia, M. D. et al. 2011].
Längerfristiges Ziel muss deshalb die Einführung einer gesetzlichen Krankenversicherung in Indien sein. Kurzfristig müssen die Ausgaben für das Gesundheitswesen erhöht werden.
Es ist keine Überraschung, dass die multinationalen Pharmakonzerne scharf auf die Doha-Erklärung reagiert haben, besonders bei Ländern wie Indien mit einer gerade aufblühenden Wirtschaft. Denn gerade in diesen Länder liegen die neuen Absatzmärkte für die multinationalen Pharmakonzerne. Der Verkauf in den westlichen Industriestaaten stagniert wegen Sättigung und fehlenden Innovationen seit Jahren.
Der Produkt-Patentschutz, wie er in TRIPS festgelegt ist, muss in Frage gestellt werden. Er hemmt die Entwicklung von pharmazeutischen Innovationen und erschwert den Zugang zu Arzneimitteln. Wie können Anreize für die Forschung & Entwicklung ohne Zugangshindernisse geschaffen werden? Wir unterliegen der Annahme, dass Patente Anreize für Forschung & Entwicklung bilden - eingenommenes Geld aus Patenten fließt zurück in die Forschung & Entwicklung. Leider wird jedoch dieses Monopol auf Kosten der Gesellschaft ohne Rückvergütung in Form von einer am Bedarf orientierten fortschrittlichen Arzneimittelforschung ausgenutzt. Patent-Inhaber und Generika-Hersteller sollten einen Patentpool als ein Instrument für die Regelung von geistigen Eigentumsrechten, welche Innovationen und Zugang verbessern, unterstützen ['t Hoen, E. 2009].
Jana Böhme
9. Literaturquellen
Betz, J. (2002): Das indische Gesundheitswesen: Struktur, Defizite und die Rolle externer Akteure, Nord-Süd aktuell, 3. Quartal: 462-468
Correa, C. (2002): Implications of the Doha Declaration on the TRIPS agreement and Public Health, Health Economics and Drugs EDM Series, Nr. 12 Geneva: World Health Organisation
Cammeron, A., Ewen, M, Ross-Degnan, D., Ball, D., Laing, R. (2008): Medicine prices, availabillity, affordability in 36 middle-income countries: a secondary analysis, Lancet; 373 (9659): 240-249
Government of Indian (2009a): National Health Accounts - India (2004-05), New Delhi, Ministry of Health and Family Welfare
Government of India (2009b): Annual Report. New Delhi: Ministry of Chemicals and Fertilisers, Department of Pharmaceuticals
Jadonia, M. D., Meenakumari, I., Ganapathy, M. A., Subrahmanyam, V. M., Udupa, N., Sreedhar, D., Ligade, V. S. (2011): Patents, Health Policy and Access to Medicines, Indo-Global Journal of Pharmaceutical Scienes, Vol 1, Issue 1: 33-38
Lalvani, P., Bapna, J., Burn, R., Eichler, R., Green, T., Walkowiak, H. (2003): Access to Essential Medicines: Rajasthan, India 2001. Prepared for the Strategies for Enhancing Access to Medicines Programm. Arlington, VA: Management Sciences for Health
Löfgren, H., Malhotra, P. (2006): Der Aufstieg der indischen Pharmaindustrie: Transformation der globalen Wettbewerbslandschaft? Peripherie Nr. 103, 26. Jg., Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster: 315-337 (Übersetzung: Hoering, U.)
Mahal, A., Debroy, B., Bhandari, L. (Editors) (2010): India Health Report 2010, BS books, New Delhi
Médecins Sans Frontières (2005): Will the lifeline of affordable medicines for the poor countries be cut? Concequences of the medicines patenting in India, briefing document, Geneva
Park, C., Jayadev, A. (2009): Access to Medicine in India: A Review of Recent Concerns, available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=1436732 or http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.1436732, Zugriff am 01.01.2013
Selvaraj, S. (2005): Access to Essential Drugs and Medicines in Financing and Delivery of Health Care Services in India, Financing and Delivery of Health Care Services in India, NCMH Background Papers, 191-218, New Delhi, Ministry of Health and Family Welfare
Selvaraj, S., Karan, A. K. (2009): Deepening Health Insecurity in India: Evidence from National Sample Surveys since 1980s, Economic and Political Weekly, XLIV (40), 3 October
Selvaraj, S., Chokshi, M., Hasan, H., Kumar, P. (2010): Improving Governance and Accountability in India's Medicine Supply System. Draft Report Submitted to Results for Development Institute, New Delhi: Public Health Foundation of India
't Hoen, E. F. M. (2009):The Global Politics of Pharmaceutical Monopoly Power. Drugs patents, access, innovation and the application of the WTO Doha-Declaration on TRIPS and Public Health, AMB, Diemen, Niederlande
TERMINE
07. Oktober, online
18. November, online
VdPP-Vorstandssitzung
04. November, online
02. Dezember, online