TTIP - bittere Pille für unser Gesundheitswesen? 

August 2015

 

Jedes Jahr Mitte Juni findet die Mitgliederversammlung des VdPP statt. Und immer widmen wir uns einem über das Vereinsgeschehen hinaus gehenden aktuellen und für die Pharmazie wichtigen Thema. Konnte es in diesem Jahr 2015 etwas Wichtigeres geben als TTIP? Der Einladung ins Ökumenische Zentrum in Berlin sind am Samstagnachmittag erfreulich viele Gäste gefolgt.

 

von Ulrike Faber

Es war uns gelungen, zwei sehr versierte ReferentInnen zu finden: Johannes Eisenbarth vom GKV-Spit­zen­verband, dort u. a. für europäische und internationale Politik zuständig und Sophie Bloemen, als Mitbegründerin von The Commons Network international vernetzt in der Arbeit für den Erhalt der Gemeingüter und ebenso vertraut mit internationaler Arzneimittelpolitik.

Johannes Eisenbarth gab einen sehr guten Einblick in die Struktur der TTIP-Verhandlungen: Auf der Grundlage des Vertrags von Lissabon, der die europäische Kommission zur Verhandlung von Handelsabkommen ermächtigt, wurde mit TTIP-Ver­hand­lun­gen 2013 begonnen. TTIP-Ziel: Hand­els­hemmnisse sollen abgebaut werden. Als Handelshemmnisse gelten Maß­nahmen des Verbraucher-, Daten-, Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutzes, aber auch Sozial- und Qualitätsstandards. Dies sind die sog. nichttarifären (d. h. nicht zollbedingten) Handelshemmnisse. Fragen des Gesundheitswesens gehören eigentlich nicht in die Regelungskompetenz der EU! Der Referent konnte mit seiner Präsentation auch für „TTIP-Einsteiger“ eine sehr gute Orientierung geben, was die rechtlichen Grundlagen, die Verhandlungssektoren, die Zielsetzungen und die möglichen Auswirkungen angeht.

 

Über allem liegt der Schleier der Geheimhaltung. Die TTIP-Verhand­lungen sollen im Jahr 2016 abgeschlossen sein. Erst dann werden Vertragsinhalte transparent gemacht, aber sie sind dann nicht mehr verhandelbar. Daher kann eine dann eigentlich vorgesehene gesund­heitliche und soziale Folgen­abschätzung auf die Vertragsinhalte gar keinen Einfluss mehr haben. Wesentliche Inhalte des Verhand­lungsstands werden vorher nur über durchgesickerte („geleakte“) Informationen bekannt.

 

Mögliche Auswirkungen auf das Gesundheitswesen sind wegen der ganzen Geheimniskrämerei noch nicht abschließend einschätzbar. Einerseits wird mit TTIP eine höchstmögliche Liberalisierung beim Austausch aller Waren und Dienstleistungen angestrebt, andererseits soll die Daseinsvorsorge, zu der auch die Leistungen der Krankenkassen gehören, angeblich weiterhin geschützt und daher ausgenommen sein. Allerdings stehen die Krankenkassen in einem erheblichen Preiswettbewerb zueinander; dies könnten sie als Wirtschaftsunternehmen den TTIP-Rege­lun­gen unterwerfen, und der Grundsatz, das Gesundheitswesen von TTIP auszunehmen, würde auf diese Weise durchbrochen. Die Krankenkassen selbst sehen diese Gefahr.

 

Auch mögliche Auswirkungen von TTIP auf den Arzneimittelbereich liegen im Dunkeln. Sophie Bloemen berichtete von einer Wunschliste der Pharmabranche. Der Pharmalobby geht es um die verschärften Bedingungen bei der Geheimhaltung von Studiendaten durch eine entsprechend geänderte Definition von Geschäftsgeheimnissen. Das wäre dann u. a. das Aus für die innerhalb der EU gerade mit viel Mühe erkämpfte Transparenz und Offenlegung aller klinischen Studiendaten. Die Industrie möchte geistiges Eigentum im Freihandelsabkommen zu ihren Gunsten regeln. Dazu zählen auch die  Patentlaufzeiten. Eine Verlängerung würde über hohe Arzneimittelpreise steigende Kosten im Gesundheitswesen verursachen und den Markteintritt preiswerterer Generika hinauszögern. Und natürlich will die Pharmalobby bei Preisfindungen und Erstattungsregelungen in Europa mit­reden.

 

Auf die interessanten Vorträge bei unserer Veranstaltung reagierte das engagierte Publikum mit vielen Fragen und einer lebhaften Diskussion; das Informationsbedürfnis ist groß.

 

Insgesamt sind die Informationen über mögliche Folgen von TTIP für den Arzneimittel- und Gesundheitsbereich alarmierend, aber ihre enorme Brisanz scheint mangels konkreter Informationen noch nicht deutlich genug erkennbar. Gerade hat die Bundesregierung am 21.7.2015 auf eine kleine Anfrage der Grünen zu den Auswirkungen von TTIP auf das Gesundheitswesen wieder einmal ausweichend, unkonkret und verharmlosend geantwortet.1 Die schlichte Botschaft lautet: alles in bester Ordnung.

 

Aber der Schein trügt. TTIP ist das größte jemals verhandelte Frei­handelsabkommen. Es ist das erste internationale Abkommen, das allein von der europäischen Kommission verhandelt wird und nationales Recht brechen wird. Zu viele Absichten und Verhandlungsgegenstände werden sorgfältig von der Öffentlichkeit abgeschottet entschieden oder bagatellisiert. Offensichtlich macht die wachsende europäische Protest­be­we­gung mit inzwischen 2,4 Millionen Unterschriften gegen TTIP Sorgen.

 

Der VdPP hat in den Rundbriefen Nr. 90 und Nr. 92 ausführlich über TTIP berichtet und dabei schon viel mehr Probleme beleuchtet als in unserer Veranstaltung überhaupt aktuell angeschnitten werden konnten. Wir werden daran weiter arbeiten, zumal unsere Standesvertretung sich lieber um Apothekenketten und Frei­beruflichkeit Sorgen macht,2 während doch gerade die möglichen Auswirkungen auf das Gesundheits­wesen, auf die Arzneimittelver­sorgung der Bevölkerung, auf die Patientensicherheit, auf die Trans­parenz von Studiendaten, auf die Arzneimittelpatente, auf die Arznei­mittelpreise und das Abgabemonopol der Apotheken für apotheken­pflichtige Arzneimittel gründ­lich thematisiert werden müssten.

 

 

1 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/052/ 1805282.pdf (Zugriff 13.8.2015)
2 http://www.abda.de/pressemitteilung/artikel/vielfalt-des-europaeischen--gesundheitswesens-und-freiberuflichkeit-belwahren/ [Zugriff 13.8.2015]

 

Erschienen im VdPP Rundbrief 93

http://www.vdpp.de

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07. Oktober, online

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18. November, online

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04. November, online

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02. Dezember, online

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