TTIP - Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte nicht Ihre Bundesregierung 

April 2015

 

Das gegenwärtig im Geheimen zwischen den USA und der EU verhandelte Freihandelsabkommen TTIP bringt Wachstum und Arbeitsplätze. Das behaupten die Befürworter. Nach allem, was bisher bekannt wurde, wird das Abkommen aber fatale Auswirkungen auf unsere Demokratie haben sowie auf Verbraucher-, Daten-, Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutz. Auch über die Folgen für das Gesundheitswesen und für die Arzneimittelversorgung  sind wir weiterhin vor allem auf Gerüchte angewiesen.

 

Von Florian Schulze

 

Die EU-Kommission wird in § 207 i. V. m. § 218 des Vertrags die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) beauftragt, Handelsabkommen, die vom Rat beschlossen werden, zu verhandeln. Nicht einmal das europäische Parlament muss in jedem Fall Verträgen mit Drittländern zustimmen, von einer Zustimmung der nationalen Parlamente ist gar nicht die Rede. Die weitgehende Geheimhaltung der Verhandlungsprozesse zum Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA ist ein weiterer Beleg für das fragwürdige Demokratieverständnis der Kommission, das bei den vielen bereits abgeschlossenen Freihandelsabkommen leider nicht die gebührliche öffentliche Aufmerksamkeit erfahren hat. Die begrüßenswerte Entwicklung der letzten Jahre hin zu mehr Transparenz von politischen Entscheidungsprozessen (vgl. etwa Informationsfreiheitsgesetz) wird hier mit einer Rolle rückwärts begegnet. Selbst die europäischen Parlamentarier sind von den Verhandlungsprozessen ausgeschlossen und dürfen - wenn überhaupt -  nur im Paket ablehnen oder zustimmen. Angesichts der klaren Machtverhältnisse im EU-Parlament ist von dort ohnehin keine ernsthafte Gegenwehr zu erwarten. Es kommt nun darauf an, die Nationalregierungen zu einem Nein im europäischen Rat zu bewegen. Da Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und die Kanzlerin ohnehin nicht müde werden, gleichzeitig Nutzen und Harmlosigkeit von TTIP zu beteuern, müssen wir wohl auf andere Regierungen hoffen.

Freihandelsabkommen wie TTIP bedeuten eine Umkehrung des Verhältnisses zwischen gewählten Parlamenten bzw. öffentlicher Gerichtsbarkeit und der Wirtschaft. Sehenden Auges werden die Verträge zum Schutz des Freihandels über die Gesetze gestellt, die letztlich für den Schutz der Grund- und Menschenrechte von Bürgerinnen und Bürgern da sind. Diese Gesetze können ausgehebelt werden, sofern sie gegebenenfalls einem mehr oder weniger berechtigten Profitinteresse von Unternehmen entgegenstehen (Investorenschutz). Künftig werden nationale Regelungen nicht mehr nur durch europäische Verordnungen aufgehoben – auch das ist in Anbetracht der EU-Konstruktion nicht unproblematisch –, sondern EU-Recht selbst kann durch Verträge eingeschränkt werden, die mit der EU-Kommission ausgerechnet diejenige Institution ausgehandelt hat, auf die sich das vielkritisierte Demokratiedefizit der EU in besonderem Maße bezieht. Über die in der EU-Wahl 2014 beobachtete Tendenz hin zu nationalistischen Parteien muss man sich auch vor diesem Hintergrund nicht wundern. Letztlich könnte nur ein Volksentscheid ein solches Machwerk legitimieren – ein weiterer Grund, diese Möglichkeit für Deutschland einzuführen.

Bei aller berechtigter Kritik an der EU-Kommission darf nicht übersehen werden, dass der bei den TTIP-Verhandlungen an den Tag gelegte europäische Neoliberalismus nicht vom Himmel gefallen ist. Der Vertrag von Lissabon wurde in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft unkritisch als großer Schritt zur europäischen Einigkeit begrüßt. Im Bundestag stimmte nicht nur die schwarz-rote Koalition, sondern auch die oppositionellen Grünen und Liberalen für die Annahme des Vertrags und die entsprechenden Begleitgesetze, einzig die Linken, einzelne Abgeordnete wie Peter Gauweiler und einige zivilgesellschaftliche Gruppen und wandten sich dagegen und reichten teils Verfassungsbeschwerden ein. Der Vertrag von Lissabon legt in Artikel 3 als Ziele der Europäischen Union unter anderem den „freien und gerechten Handel“, „Wirtschaftswachstum“ und eine „in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“ fest. Dass Freihandel und Wirtschaftswachstum zum Staatsziel, also quasi in einen EU-Verfassungsrang erhoben werden, zeigt klar: Das Gerede von der Werteunion ist vorgeschoben. Die EU soll in ihrer heutigen Ausgestaltung vor allem Freihandelszone sein und den Freihandel mit anderen Ländern fördern. Die Kommission agiert bei den TTIP-Verhandlungen also klar auf der Grundlage des EU-Vertrags und war über die massive Gegenwehr aus der Zivilgesellschaft wohl etwas erstaunt. Die Kritiker müssen sich daher klarmachen, dass eine TTIP-Kritik ohne EU-Kritik nur wenig Halt hat. TTIP, CETA, TISA & Co. sind keine Ausrutscher, sondern immanenter Bestandteil der europäischen Handelspolitik auf Grundlage der selbstgesteckten Ziele.

 

Über die Auswirkungen auf die Arzneimittelversorgung und -forschung sind weiterhin vor allem Gerüchte im Umlauf. Die Bundesregierung konnte im Juli 2014 noch keine Angaben über eventuelle Auswirkungen auf die Arzneimittelzulassung, Patentierung oder die Nutzenbewertung machen (Bundestagsdrucksache 18/2100). Auch etwa die Möglichkeiten einer geförderten bzw. nichtkommerziellen Pharmaforschung gibt es keine Aussage, geschweige denn eine Zusage. Zu diesem Zeitpunkt war dankenswerterweise von Grünen Abgeordneten des Europäischen Parlaments bereits das Verhandlungsmandat des Rats geleakt worden, auf dessen Grundlage die Kommission grundsätzlich handelt.1

Dort heißt es: „Das Abkommen wird Bestimmungen oder Anhänge mit zusätzlichen Verpflichtungen oder Maßnahmen zur Förderung der regulatorischen Kompatibilität in spezifischen, einvernehmlich vereinbarten Waren- und Dienstleistungssektoren enthalten, mit dem Ziel, die durch regulatorische Unterschiede in spezifischen Sektoren bedingten Kosten zu verringern, wobei gegebenenfalls auch Konzepte für regulatorische Harmonisierung, Gleichwertigkeit oder gegenseitige Anerkennung Berücksichtigung finden. […]Dies sollte spezifische und materiellrechtliche Bestimmungen und Verfahren in Sektoren einschließen, die für die transatlantische Wirtschaft von erheblicher Bedeutung sind, darunter […] die pharmazeutische Industrie und andere Bereiche des Gesundheitswesens,  […] wobei die Beseitigung bestehender nichttarifärer Hemmnisse sichergestellt wird, die Einführung neuer nichttarifärer Hemmnisse verhindert wird und umfassendere Marktzugangsmöglichkeiten zugelassen werden, als sie durch horizontale Regeln des Abkommens eröffnet werden.“

 

Hier wird deutlich, dass das Ziel des umfassenderen beiderseitigen Marktzugangs auch vor Arzneimitteln nicht Halt macht. Ob sich die Kommission der Sensibilität von Arzneimitteln als besonderes Gut, von Zulassungsentscheidungen für die Gesundheit der Bevölkerung, der normativen und ethischen Natur von Nutzenbewertungen und darauf beruhenden Erstattungs- und Preisregelungen bewusst ist, darf bezweifelt werden. Doch damit nicht genug: Handeln die Regierung möglicherweise künftig wettbewerbswidrig, wenn sie dort Forschung selbst finanzieren, wo der Markt versagt? Widersprechen öffentlich-private Partnerschaften (PPP) bzw. Produktentwicklungspartnerschaften (PDP) für Arzneimittel gegen vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten den Regeln des freien Marktes? Auch darüber gibt es nur Spekulationen. Aber dass weder Kommission noch Bundesregierung willens und/oder in der Lage sind, solch elementare Fragen zu beantworten, schürt Befürchtungen bei Patientinnen und Patienten wie Gesundheitsprofessionellen. Jeder Beschwichtigungsversuch von Regierung und Kommission muss ins Leere laufen, solange die Verhandlungsergebnisse und -verläufe nicht auch in ihren Teilschritten öffentlich werden.

 

Der VdPP schließt sich der Forderungen des Bündnisses „TTIP unfairhandelbar“ an2, denn TTIP widerspricht elementaren Regeln der Demokratie. Wir fordern die EU-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier sowie die Bundesregierung auf, auf einen Stopp der Verhandlungen hinzuwirken und  – wenn überhaupt – unter anderen und transparenten Vorzeichen neu zu beginnen. Dann muss insbesondere bei gesundheitsrelevanten Entscheidungen, die etwa die Nutzenbewertung, Preisregulation, Erstattungsregelungen und die Lizenzpolitik bei Arzneimitteln beeinflussen können, das Verhandlungsmandat entzogen werden, da diese Entscheidungen auch nicht in der Regelungskompetenz der EU liegen. Es ist sicherzustellen, dass über den Investitionsschutz nicht Hintertüren für eine Aufweichung von nationalen Regelungen, die dem Gesundheitsschutz der Bürgerinnen und Bürger dienen, aufgemacht werden, Mindestens aber erwarten wir, dass sie dem Freihandelsabkommen im Parlament bzw. im Rat und damit der Entgrenzung der Freihandelslogik nicht zustimmen werden. Wir fordern den Bundestag auf, die Bundesregierung durch einen Beschluss eindeutig zu einer Ablehnung des TTIP-Pakets zu verpflichten und selbst den ihm zur Entscheidung vorgelegten Passagen die Zustimmung zu verweigern.

 

Dem Grund- und Menschenrecht auf Leben und Gesundheit muss in jedem Fall Vorrang gegenüber dem Freihandel gegeben werden. Freier Markt hat bei Arzneimitteln nicht zu suchen. Wichtig sind eine bedarfsorientierte und unabhängige Forschung, ein umfassender Schutz vor Arzneimittelrisiken, eine vor allem nutzenbasierte und transparente Preisgestaltung und die umfassende und neutrale Information der breiten wie der Fachöffentlichkeit bei weitestgehender Einschränkung von Marketingmaßnahmen. Diese Punkte drohen mit dem Primat des Freihandels beeinträchtigt zu werden.

 

1 http://www.ttip-leak.eu/

2 http://www.ttip-unfairhandelbar.de/start/das-abkommen/forderungen-des-buendnisses

 

Erschienen im VdPP Rundbrief 92

http://www.vdpp.de

TERMINE

 

07. Oktober, online

Pharmacists for Future (Ph4F) 

 

18. November, online

VdPP-Vorstandssitzung 

 

04. November, online

Pharmacists for Future (Ph4F) 

 

02. Dezember, online

Pharmacists for Future (Ph4F)