Gemeinsamer offener Brief an EU-Präsident Barroso bezüglich des „Arzneimittel-Paketes

Freigabe des „Arzneimittel-Paketes“ zur weiteren Diskussion durch die EU-Kommissare und im Folgenden durch das Europäische Parlament

20. November 2008

 

Sehr geehrter Präsident Barroso,

in den nächsten Tagen werden Sie über die Freigabe des sogenannten „Arzneimittel- Paketes“ zur weiteren Diskussion durch die EU-Kommissare entscheiden, dass unter anderem eine Änderung der Richtlinien zu Arzneimitteln im Bereich Werbung vorsieht.

 

Die unterzeichnenden Organisationen sind über die geplanten Änderungen sehr besorgt. So wird beabsichtigt, die Rolle der Pharmaindustrie bei der Bereitstellung von VerbraucherInneninformation zu stärken. In der Einbindung von Akteuren, die ein kommerzielles Interesse am Absatz ihrer Produkte haben, sehen wir einen eklatanten Interessenkonflikt. Diese Bedenken wurden auch von einer überwältigenden Zahl von Organisationen und MitarbeiterInnen aus dem Gesundheitswesen, Versicherern, PatientInnengruppen, VerbraucherInnenorganisationen und zivilgesellschaftlichen Gruppen aus ganz Europa während der letzten öffentlichen EU-Konsultation eingebracht. Doch spiegeln sich diese Bedenken bisher in keiner Weise in den vorgesehenen Änderungen wider.

 

In Deutschland hat sich ein breites Bündnis für eine industrieunabhängige PatientInneninformation ausgesprochen: Von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft [1] über PatientInnen- und Verbraucherschutzorganisationen bis zur Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände [2] sowie vielen zivilgesellschaftlichen Gruppen. Sie sind damit auf einer Linie mit den Forderungen der deutschen Bundesregierung. Alle sehen durch die Ausweitung der Rechte der Pharmaindustrie im Bereich PatientInneninformation, die Gesundheit der Bevölkerung unmittelbar gefährdet. Denn:

 

  • Erfahrungen aus den USA und Neuseeland zeigen, dass vor allem neue und teure (patentgeschützte) Arzneimittel beworben werden. Die Folge ist das Ansteigen der Ausgaben im Gesundheitsbereich, ohne dass erkennbar ist, dass sich dadurch gleichzeitig die Gesundheit der Bevölkerung verbessert.
  • Schon heute nutzen Pharmafirmen gesetzliche Regelungslücken und mangelnde Überwachung durch die Behörden, um irreführende Gesundheitsinformationen und indirekte Produktwerbung auch für rezeptpflichtige Arzneimittel z.B. über das Internet zu verbreiten. [3]
  • Schon jetzt weist die Informationsstrategie der Pharmaindustrie gegenüber VerbraucherInnen und ÄrztInnen zahlreiche Mängel auf. Dazu gehören unter anderem vielfältige Formen der Desinformation, die Unterdrückung bzw. die Manipulation negativer Studienergebnisse etc.[4]

 

Aus diesen Gründen ist mit der Einbringung des geplanten Gesetzespaketes und der darin vorgesehenen Rolle für die pharmazeutische Industrie keine objektive und interessenunabhängige Information zu erwarten, auf die sich VerbraucherInnen aus Gründen des Gesundheitsschutzes aber unbedingt verlassen können müssen.

Die EU-Kommission ist nach Artikel 152 des EU-Vertrages dazu verpflichtet, den gesundheitlichen Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Daher ist der öffentlichen Gesundheit in allen (Gesetzes)entscheidungen oberste Priorität einzuräumen. Insofern halten wir es für äußerst zweifelhaft, dass die Verantwortung für den genannten Richtlinienvorschlag beim Direktorat Industrie und Unternehmen liegt und nicht beim Direktorat Gesundheit und Verbraucherschutz angesiedelt ist. Gesundheitsinteressen muss gegenüber Vermarktungsinteresse unbedingt Vorrang eingeräumt werden.


Dass es im Vorfeld bereits innerhalb der EU-Kommission erhebliche Uneinigkeit gegeben hat, die zu einer Streichung des Tagesordnungspunktes von der Agenda des Treffens der EU-Kommissare am 16.10.2008 geführt hat, ist ein Indikator dafür, dass weiterhin ein erheblicher Diskussionsbedarf besteht. Diese Debatte sollte öffentlich und mit größter Transparenz durchgeführt werden.

 

Die unterzeichnenden Organisationen fordern Sie daher auf, den geäußerten Bedenken im Sinne des Schutzes der EU-BürgerInnen Rechnung zu tragen und die Annahme des „Arzneimittel-Paketes“ abzulehnen.

 

Finden Sie anbei die gemeinsame Stellungnahme: PatientInnen nicht im Regen stehen lassen – für eine industrieunabhängige Patienteninformation“ (in deutscher und in englischer Sprache). Diese wird neben den InitiatorInnen von mittlerweile 25 deutschen Organisationen unterstützt. [5]

 

Dieser Brief wird ebenfalls verschickt an

  • alle EU-Kommissare
  • die Ständigen VertreterInnen der Mitgliedsstaaten
  • Presse

Referenzen

  1. Deutscher Ärztetag 2008, www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.2.20.5711.6202.6249
  2. Deutscher Apothekertag 2008, Resolution für werbefreie Patienteninformation
  3. Beispiele siehe: Gemeinsame Stellungnahme der BUKO Pharma-Kampagne, Ärzteorganisation IPPNW, Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, BundesArbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen und - initiativen: „PatientInnen nicht im Regen stehen lassen – für eine industrieunabhängige Patienteninformation“, die mittlerweile von 25 Organisationen mitunterstützt wird. Im Anhang.
  4. Gesundheitspolitisches Forum 17.11.2007 in Gelnhausen / Deutschland. Vortrag Prof. Dr. Peter Schönhöfer, arznei-telegramm, Berlin: Korruptive Praktiken der Pharmaindustrie.
  5. www.bukopharma.de/index.php?page=stellungnahmen

Abgedruckt im Rundbrief 72

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